FMG-INFORMATION 99, April 2010

 

 

1. Glaube und Kirche

 

Auslegung der Hl. Schrift

„Da die Heilige Schrift ein Ganzes ist, ausgehend vom einen Volk GOTTES, das sie durch die Geschichte getragen hat, bedeutet folglich das Lesen der Schrift als einer Einheit, sie ausgehend vom Volk GOTTES, von der Kirche als ihrem lebenswichtigen Ort zu lesen und den Glauben der Kirche für den wahren Auslegungsschlüssel zu halten. Wenn die Exegese auch Theologie sein will, muss sie anerkennen, dass der Glaube der Kirche jene Form von ‚sym-pathia’ ist, ohne die die Bibel ein versiegeltes Buch bleibt: Die Tradition ver­schließt nicht den Zugang zur Schrift, sondern öffnet ihn vielmehr; andererseits steht der Kirche in ihren institutionellen Organen das entscheidende Wort bei der Auslegung der Schrift zu. Es ist nämlich die Kirche, der das Amt anvertraut ist, das geschriebene und überlieferte Wort GOTTES authentisch auszulegen, indem sie ihre Autorität im Namen JESU CHRISTI ausübt (vgl. DEI verbum, 10).“

Audienz für das Päpstl. Bibelinstitut, 26.10.2009

Papst Paul VI.

„Giovanni Battista Montini bestand auf der Ausbildung der jungen Leute, um sie zu befähigen, in Beziehung zur Moderne zu treten, eine Beziehung, die schwierig und oft kritisch, aber immer konstruktiv und dialogbereit ist. Er hob einige negative Wesenszüge der modernen Kultur, sowohl im Bereich der Erkenntnis wie des Handelns, hervor, wie den Subjektivis­mus, den Individualismus und die grenzenlose Selbstbe­hauptung. Gleichzeitig hielt er jedoch den Dialog für notwen­dig, immer ausgehend von einer soliden theoretischen Ausbil­dung, deren einigendes Prinzip der Glaube an CHRISTUS war; also ein reifes christliches ‚Bewusstsein’, das zur Auseinander­setzung mit allen fähig ist, ohne vor den Modeerscheinungen der Zeit zurückzuweichen. Als Papst sagte er den Rektoren und Präsidenten der Universitäten der Gesellschaft JESU: ‚Die übertriebene Anpassungsfähigkeit in Lehre und Moral ent­spricht gewiss nicht dem Geist des Evangeliums.’ … Für Papst Montini muss der Jugendliche dazu erzogen werden, die Umgebung, in der er lebt und tätig ist, zu beurteilen, sich als Person und nicht als Nummer in der Masse zu sehen, mit einem Wort: es muss ihm geholfen werden, eine ‚feste Über­zeugung’ zu haben, die zu einem ‚überzeugten Handeln’ fähig ist, und dabei die manchmal auftauchende Gefahr zu vermei­den, das Handeln vor das Denken zu setzen und die Erfahrung zur Quelle der Wahrheit zu machen…“

Ansprache beim Pastoralbesuch in Brescia mit Einweihung des neuen Sitzes des Instituts ‚Paul VI.’, 8.11.2009

Die Macht CHRISTI

„In Wirklichkeit hat sich JESUS gerade als SOHN GOTTES frei Seinem Leiden ausgeliefert, und das Kreuz ist das paradoxe Zeichen Seines Königtums, das im liebevollen Willen GOTT­VATERS gegenüber dem Ungehorsam der Sünde zum Ausdruck kommt…

Worin besteht die ‚Macht’ JESU CHRISTI als König? Sie ist nicht die Macht der Könige und der Großen dieser Welt: Sie ist die GÖTTliche Macht, ewiges Leben zu schenken, vom Bösen zu befreien, die Herrschaft des Todes zu besiegen. Sie ist die Macht der Liebe, die es versteht, Gutes aus dem Bösen zu gewinnen, ein verhärtetes Herz zu erweichen, Frieden in den härtesten Streit zu tragen, die Hoffnung im finstersten Dunkel zu entflammen. Dieses Reich der Gnade zwingt sich nie auf und achtet immer unsere Freiheit. CHRISTUS ist ge­kommen, um ‚für die Wahrheit Zeugnis abzulegen’ (Joh 18,37), wie Er vor Pilatus erklärte: Wer Sein Zeugnis annimmt, stellt sich nach einem Bild, das der hl. Ignatius von Loyola gern ge­brauchte, unter Sein ‚Banner’. Jedes Gewissen also, das ist richtig, steht vor der Notwendigkeit einer Entscheidung: Wem will ich folgen? GOTT oder dem Verderber? Der Wahrheit oder der Lüge? Die Entscheidung für CHRISTUS garantiert kei­nen Erfolg nach den Kriterien der Welt, sichert jedoch jenen Frieden und jene Freude, die allein CHRISTUS schenken kann. Das beweist in jedem Zeitalter die Erfahrung so vieler Männer und Frauen, die es im Namen CHRISTI, im Namen der Wahrheit und der Gerechtigkeit verstanden haben, sich den Verlockungen der irdischen Mächte unter ihren verschiedenen Masken zu widersetzen, bis hin zur Besiegelung dieser ihrer Treue mit dem Martyrium.“

Angelus-Ansprache, 22.11.2009

Abbild der unvergänglichen Schönheit

„Der christliche Glaube, der in den Männern und Frauen jener Jahrhunderte [des Mittelalters] tief verwurzelt war, brachte nicht nur Meisterwerke der theologischen Literatur, des Denkens und des Glaubens, hervor. Er inspirierte auch eine der erhabens­ten künstlerischen Schöpfungen der Weltkultur: die Kathed­ralen, ein wahrer Ruhm des christlichen Mittelalters. Tatsäch­lich erlebte man in Europa ab dem Anfang des 11. Jahrhun­derts ungefähr drei Jahrhunderte lang einen außerordentlichen künstlerischen Eifer…

Die gotische Kathedrale wollte… in ihren architektonischen Linien die Sehnsucht der Seelen nach GOTT umsetzen… Die Fenster wurden zu großen hellen Bildern, die sich sehr gut dazu eigneten, das Volk im Glauben zu unterweisen. Auf ihnen wurden – Szene für Szene – das Leben eines Heiligen, ein Gleichnis oder andere biblische Ereignisse erzählt. Von den bemalten Fenstern ergoss sich eine Lichtflut über die Gläu­bigen, um ihnen die Heilsgeschichte zu erzählen und sie in diese Geschichte miteinzubeziehen…Die gotische Skulptur hat aus den Kathedralen eine ‚Bibel aus Stein’ gemacht…

Was ist die Schönheit, die Schriftsteller, Dichter, Musiker und Künstler betrachten und in ihre Sprache umsetzen, wenn nicht der Widerschein des Glanzes des ewigen WORTES, das Fleisch geworden ist? … Der HERR helfe uns, den Weg der Schönheit als einen der vielleicht anziehendsten und fas­zinierendsten Wege wiederzuentdecken, um GOTT zu be­gegnen und Ihn zu lieben.“

Generalaudienz, 18.11.2009

Von der Allmacht GOTTES bis zum Leiden

„In der Theologie, einschließlich der katholischen, verbreitet sich im Moment diese These: GOTT sei nicht allmächtig. Auf diese Weise wird eine Apologie GOTTES gesucht, der demgemäß keine Verantwortung für das Böse trüge, das wir so weit verbreitet in der Welt finden. Aber wie arm ist doch eine derartige Apologie! Ein nicht allmächtiger GOTT! Das Böse ist nicht in Seinen Händen! Und wie könnten wir uns einem derartigen GOTT anvertrauen? Wie könnten wir in Seiner Liebe sicher sein, wenn diese Liebe dort endet, wo die Macht des Bösen beginnt? GOTT aber ist nicht mehr der Unbekannte. Im Antlitz des gekreuzigten CHRISTUS sehen wir GOTT, wir sehen die wahre Allmacht, nicht einen Allmachtsmythos. Für uns Menschen sind Kraft und Macht immer gleichbedeutend mit dem Vermögen zu zerstören, das Böse zu tun. Der wahre Begriff von Allmacht jedoch, der in CHRISTUS zutage tritt, ist genau das Gegenteil: in Ihm ist die wahre Allmacht das Lie­ben bis zu dem Punkt, an dem GOTT leiden kann: hier zeigt sich Seine wahre Allmacht, die bis zu einer Liebe gehen kann, die für uns leidet. Und so sehen wir, dass Er der wahre GOTT ist, und der wahre GOTT, der Liebe ist, ist Macht: die Macht der Liebe. Und wir können uns Seiner Liebe anvertrauen und in dieser, mit dieser allmächtigen Liebe leben...“

Besuch im Päpstl. Römischen Priesterseminar, 12.2.2010

„Wir sind gewiss, dass Er uns hört!“

„CHRISTUS ist zu uns gekommen und hat uns so das Ge­schenk Seiner Liebe und Seines Heils gebracht, das Er uns auch weiterhin anbietet. Er ist unter uns gegenwärtig und spricht auf vielerlei Weise zu uns: durch die Hl. Schrift, durch das Kirchenjahr, durch die Heiligen, durch die Ereignisse des täglichen Lebens, durch die ganze Schöpfung, die anders aus­sieht, wenn CHRISTUS dahinter steht, als wenn sie vom Nebel einer ungewissen Herkunft und einer ungewissen Zukunft verhangen ist. Wir können unsererseits das Wort an Ihn rich­ten, Ihm das Leid darlegen, das uns quält, die Ungeduld, die Fragen, die aus unserem Herzen hervorkommen. Wir sind gewiss, dass Er uns immer hört! Und wenn JESUS gegen­wärtig ist, dann gibt es keine sinnlose und sinnleere Zeit mehr. Wenn Er gegenwärtig ist, können wir auch dann weiter hoffen, wenn andere uns keine Unterstützung mehr gewähren können…“

Predigt in der Ersten Vesper zum 1. Advent, 28.11.2009

Theologiestudium und Gebet

„Für die heutige Gesellschaft, in der das Wissen immer spezi­alisierter und fachgebundener, aber gleichzeitig tief vom Rela­tivismus geprägt ist, ist es … noch notwendiger, sich gegen­über der ‚Weisheit’ zu öffnen, die aus dem Evangelium kommt. Der Mensch ist nämlich unfähig, sich selbst und die Welt ohne JESUS CHRISTUS vollkommen zu verstehen: Nur Er allein erhellt seine wahre Würde, seine Berufung, sein letztes Ziel, und öffnet das Herz für eine feste und unvergängliche Hoffnung.

(Es) ist wichtig, sich daran zu erinnern, dass das Studium der theologischen Wissenschaften niemals getrennt werden darf vom Gebet, von der Vereinigung mit GOTT, von der Kon­templation… denn sonst droht das Nachdenken über die GÖTTlichen Geheimnisse zu einer leeren intellektuellen Übung zu werden. Jede theologische Wissenschaft verweist letztend­lich auf die ‚Wissenschaft der Heiligen’, auf ihre Intuition der Geheimnisse des lebendigen GOTTES, auf die Weisheit, die Gabe des HL. GEISTES und Seele der ‚fides quaerens intellectum’ [der Glaube sucht die Verstehbarkeit] ist…“

Audienz für die Päpstl. Universitäten in Rom u.a., 19.11.2009

Den Weisen und Klugen verborgen

„Wir haben gehört, dass der HERR den VATER preist, weil Er das große Mysterium des SOHNES, das trinitarische Myste­rium, das christologische Mysterium den Weisen, den Gelehr­ten verborgen hat – sie haben es nicht erkannt –, es aber den Unmündigen, den nèpioi, also jenen, die nicht gelehrt sind und keine große kulturelle Bildung haben, kundgetan hat. Ihnen wurde dieses große Geheimnis offenbart. Mit diesen Worten beschreibt der HERR einfach eine Gegebenheit aus Seinem Leben; ein Faktum, das bereits zur Zeit Seiner Geburt begon­nen hat, als die Sterndeuter aus dem Osten die Fachkundigen, die Schriftgelehrten, die Exegeten nach dem Ort der Geburt des Erlösers, des Königs von Israel, fragen. Da die Schriftge­lehrten erfahrene Fachleute sind, wissen sie die Antwort; sie können sofort sagen, wo der Messias geboren wird: in Bethlehem! Sie fühlen sich jedoch nicht aufgerufen, dorthin zu gehen: es bleibt für sie eine rein akademische Erkenntnis, die keine konkreten Auswirkungen auf ihr Leben hat; sie bleiben Unbeteiligte. Sie können zwar Auskunft geben, aber dieses Wissen hat keinen Einfluss auf ihr Leben.

Später, während des gesamten öffentlichen Lebens des HERRN ist das gleiche Phänomen festzustellen. Die Gelehrten vermögen nicht zu erkennen, dass dieser nichtgelehrte Mann aus Galiläa wirklich der SOHN GOTTES sein soll. Es ist für sie unannehmbar, dass der große und einzige GOTT, der GOTT des Himmels und der Erde ist, in diesem Mann gegenwärtig sein soll. Sie wissen alles, sie kennen auch das 53. Kapitel des Buches Jesaja und alle großen Prophe­zeiungen, doch das Geheimnis bleibt ihnen verborgen. Den Kleinen hingegen wird es offenbar, begonnen bei der GOTTES­mutter bis hin zu den Fischern vom See von Galiläa. Sie erkennen, ebenso wie es der römische Hauptmann unter dem Kreuz erkannt hat: dieser Mann ist GOTTES SOHN.

Auch in unserer Zeit… gibt (es) große Gelehrte, große Fach­leute, große Theologen, Lehrer des Glaubens, die uns vieles gelehrt haben. Sie haben sich zwar eingehend mit Detailfra­gen befasst, aber es ist ihnen nicht gelungen, das Myste­rium selbst zu erkennen, den eigentlichen Kern: dass nämlich JESUS wirklich der SOHN GOTTES gewesen ist, dass der dreifaltige GOTT in unsere Geschichte eingetreten ist, in einem bestimmten geschichtlichen Moment, in einem Menschen, wie wir es sind. Das Wesentliche blieb ihnen verborgen!… Es gibt aber auch in unserer Zeit die Kleinen, die dieses Mysterium erkannt haben. Denken wir nur an die hl. Bernadette Soubi­rous; an die hl. Therese von Lisieux mit ihrer neuen, ‚un­wissenschaftlichen’ Art, die Bibel zu lesen; bis hin zu den Heili­gen und Seligen unserer Zeit: die hl. Josephine Bakhita, die sel. Teresa von Kalkutta, der hl. Damiaan de Veuster…

Dabei drängt sich uns die Frage auf: Warum ist das so? Ist das Christentum die Religion der Einfältigen, der Menschen ohne Kultur und Bildung? Erlischt der Glaube dort, wo die Vernunft erwacht? Wie lässt sich all dies erklären?

All das, was JESUS gesagt hat und was sich über alle Jahr­hunderte hindurch beobachten lässt, bleibt wahr. Und doch gibt es eine ‚Art’ von Kleinen, die auch gelehrt sind. Unter dem Kreuz steht die GOTTESmutter, die demütige Magd GOTTES, die zugleich die große, von GOTT erleuchtete Frau ist. Und es steht dort auch Johannes, der Fischer vom See von Galiläa: doch eben dieser Johannes wird von der Kirche zu Recht ‚der Theologe’ genannt, da er es wirklich verstand, das Geheimnis GOTTES zu sehen und zu verkünden: mit Adler­augen ist er in das unzugängliche Licht des GÖTTlichen Ge­heimnisses vorgedrungen. In ähnlicher Weise berührt der HERR nach Seiner Auferstehung auf dem Weg nach Damas­kus das Herz des Saulus, der einer jener Gelehrten ist, die nicht sehen… Der große Gelehrte wird ganz klein, und gerade des­wegen erkennt er die Torheit GOTTES, die Weisheit ist, eine Weisheit, die alle menschliche Weisheit übersteigt…

Es gibt eine autonome Art des Vernunftgebrauchs, die sich über GOTT erhebt, und zwar durch das ganze Spektrum der Wissenschaften hindurch, angefangen bei den Naturwissen­schaften, bei denen eine für die Erforschung der Materie ge­eignete Methode universalisiert wird: bei dieser Methode wird GOTT nicht miteinbezogen, so als ob es GOTT nicht gäbe. Und dies geschieht schließlich auch in der Theologie: man fischt in den Wassern der Hl. Schrift mit einem Netz, das nur Fische bis zu einer bestimmten Größe fischen kann. Alles, was größer ist, passt nicht in dieses Netz hinein und darf daher nicht existieren. Auf diese Weise wird das große Geheimnis JESU, des menschgewordenen GOTTESSOHNES, auf den historischen JESUS verkürzt: eine tragische Gestalt, ein Ge­spenst ohne Fleisch und Blut, ein Mensch, der im Grab geblie­ben, verwest und wirklich gestorben ist. Mit dieser Methode kann man zwar einige Fische ‚fangen’, doch das große Geheimnis bleibt ausgeschlossen, da sich der Mensch zum Maß aller Dinge macht: diese Vorgehensweise trägt einen Hochmut in sich, der zugleich eine große Dummheit ist, da sie einige Methoden absolut setzt, die die großen Wirk­lichkeiten nicht zu fassen vermögen; sie gehört zu jener aka­demischen Geisteshaltung, die wir bei den Schriftgelehrten feststellen konnten, die den Hl. Drei Königen antworten: das geht mich nichts an; ich bleibe in meiner Existenz verschlos­sen, die davon nicht berührt wird. Es handelt sich dabei um jene Spezialisierung, die zwar alle Details sieht, der aber der Blick aufs Ganze fehlt.

Und es gibt auch eine andere Weise, den Verstand zu ge­brauchen, weise zu sein, und zwar die des Menschen, der anerkennt, wer er ist; er erkennt sein eigenes Maß und die Größe GOTTES, indem er sich in Demut der Neuheit des Wirkens GOTTES öffnet. Auf diese Weise, nämlich durch das Anerkennen seines eigenen Kleinseins, indem er sich so klein macht, wie er ist, gelangt er zur Wahrheit. Und so kann auch der Verstand alle seine Möglichkeiten zum Ausdruck brin­gen, er wird nicht ausgeschaltet, sondern er weitet sich und wird größer… Wir wollen daher in diesem Moment dafür beten, dass der HERR uns die wahre Demut schenke. Er ge­währe uns die Gnade, klein zu sein, um wirklich weise sein zu können; Er erleuchte uns und lasse uns Sein Geheimnis der Freude im Hl. GEIST sehen; Er helfe uns, wahre Theologen zu sein, die Sein Mysterium verkünden können, weil sie im Tiefs­ten ihres Herzens und ihrer Existenz berührt worden sind.“

Predigt vor der Internationale Theologenkommission, 1.12.2009

„Auch wenn aus den Wenigen Bethlehems viele geworden sind, scheinen diejenigen, die an JESUS CHRISTUS glau­ben, dennoch immer wenige zu sein. Viele haben den Stern gesehen, aber nur wenige haben dessen Botschaft verstanden. Die Schriftgelehrten der Zeit JESU kannten das Wort GOTTES ganz genau. Sie waren imstande, ohne die geringste Schwie­rigkeit zu sagen, was in der Schrift zu dem Ort zu finden war, an dem der Messias geboren werden sollte, wozu der hl. Au­gustinus anmerkt: ‚Ihnen ist geschehen wie den Meilenstei­nen (die den Weg angeben): Während sie den Wanderern unterwegs ihre Weisungen gegeben haben, sind sie träge und unbeweglich geblieben’. So dürfen wir fragen: Worin besteht der Grund dafür, dass einige sehen und finden, andere hinge­gen nicht? Was öffnet die Augen und das Herz? Was fehlt denen, die gleichgültig bleiben, was fehlt jenen, die den Weg weisen, sich aber nicht in Bewegung setzen? Wir können antworten: Die zu große Selbstsicherheit, der An­spruch, die Wirklichkeit vollkommen zu erkennen, die überhebliche Annahme, bereits zu einem endgültigen Urteil über die Dinge gekommen zu sein, verschließen ihre Herzen gegenüber der Neuheit GOTTES und machen sie unempfäng­lich für sie. Sie sind sich der Vorstellung sicher, die sie sich von der Welt gemacht haben, und lassen sich nicht mehr im In­nersten von dem Abenteuer eines GOTTES erschüttern, der ihnen begegnen will. Sie setzen ihr Vertrauen mehr in sich selbst als in Ihn und halten es für unmöglich, dass GOTT so groß ist, dass Er klein werden kann, um sich uns wirk­lich zu nähern. Am Ende ist das, was fehlt, die echte Demut, die es versteht, sich dem zu unterwerfen, was größer ist, aber auch der echte Mut, der zum Glauben an das führt, was wirk­lich groß ist, auch wenn es sich in einem hilflosen Kind offen­bart. Es fehlt die dem Evangelium gemäße Fähigkeit, im Her­zen Kind zu sein, zu staunen und aus sich herauszugehen, um sich auf den Weg zu begeben, den der Stern weist, den Weg GOTTES. Der HERR jedoch hat die Macht, uns sehen zu las­sen und zu retten. Wir wollen Ihn also bitten, uns ein weises und unschuldiges Herz zu geben, das es uns gestattet, den Stern Seiner Barmherzigkeit zu sehen, uns auf Seinen Weg zu begeben, um Ihn zu finden und vom großen Licht und von der wahren Freude umflutet zu sein, die Er in diese Welt gebracht hat.“

Predigt an Erscheinung des HERRN, 6.1.2010

Versöhnung

„Die [Afrika-]Synode hat versucht, den Begriff Versöhnung als Auftrag an die Kirche von heute auszuleuchten… Wenn der Mensch mit GOTT nicht versöhnt ist, ist er auch mit der Schöpfung im Unfrieden… Zur Versöhnung gehört… die Fä­higkeit, Schuld zu erkennen und um Vergebung zu bitten – GOTT und den anderen Menschen. Zum Vorgang gehört schließlich die Bereitschaft zur Buße, die Bereitschaft, Schuld auszuleiden und sich selbst ändern zu lassen. Und es gehört dazu die ‚gratuitas’, von der die Enzyklika Caritas in veritate mehrfach spricht: die Bereitschaft, über das Notwen­dige hinauszugehen, nicht aufzurechnen, sondern weiterzuge­hen, als die bloßen Rechtsverhältnisse es verlangen. Es gehört dazu jene Großzügigkeit, die GOTT selbst uns vorgemacht hat… Wir müssen heute die Fähigkeit neu lernen, Schuld an­zuerkennen, den Unschuldswahn abzuschütteln. Wir müssen die Fähigkeit erlernen, Buße zu tun, uns ändern zu lassen; dem anderen entgegenzugehen und von GOTT her uns den Mut und die Kraft zu solcher Erneuerung schenken zu lassen. In dieser unserer Welt von heute müssen wir das Sakrament der Buße und der Versöhnung neu entdecken. Dass es aus den Lebensvollzügen der Christen weitgehend verschwun­den ist, ist ein Symptom für einen Verlust an Wahrhaftigkeit uns selbst und GOTT gegenüber; ein Verlust, der unsere Menschlichkeit gefährdet und der unsere Friedensfähigkeit vermindert. Der hl. Bonaventura war der Meinung, dass das Sakrament der Buße ein Menschheitssakrament ist, das GOTT in seinem wesentlichen Grund schon unmittelbar nach dem Sündenfall mit der Buße für Adam eingesetzt hat, auch wenn es seine ganze Gestalt erst in CHRISTUS erhalten konnte, der selbst die versöhnende Kraft GOTTES ist und unsere Buße auf sich genommen hat…

…kommt mir die zweite große Reise des vergangenen Jahres in den Sinn: die Pilgerfahrt nach Jordanien und ins Hl. Land… So war dann das Begegnen mit den Orten des Heils in der Verkündigungskirche in Nazareth, der Geburtsgrotte in Bethle­hem, der Kreuzigungsstätte auf Golgotha, dem leeren Grab als Zeugnis der Auferstehung gleichsam ein Berühren der Ge­schichte GOTTES mit uns. Der Glaube ist kein Mythos. Er ist wahre Geschichte, deren Spuren wir anrühren können. Dieser Realismus des Glaubens tut uns in den Bedrängnissen der Gegenwart besonders gut. GOTT hat sich wirklich gezeigt. In JESUS CHRISTUS hat Er wirklich Fleisch angenommen. Er bleibt als Auferstandener wahrer Mensch. Öffnet immerfort unser Menschsein auf GOTT hin und ist uns immerfort Gewähr dafür, dass GOTT ein naher GOTT ist…

Schließlich möchte ich noch ein Wort des Dankes und der Freude zu meiner Reise in die Tschechische Republik sagen. Immer wurde ich vorher darauf hingewiesen, dass dies ein Land mit einer Mehrheit von Agnostikern und Atheisten sei, in dem die Christen nur noch eine Minderheit bilden. Umso freudiger war die Überraschung darüber, dass ich allenthalben von einer großen Herzlichkeit und Freundschaft umgeben war… Vor allem ist mir wichtig, dass auch die Menschen, die sich als Agnostiker oder als Atheisten ansehen, uns als Gläubige angehen. Wenn wir von neuer Evangelisierung sprechen, erschrecken diese Menschen vielleicht. Sie wollen sich nicht als Objekt von Mission sehen und ihre Freiheit des Denkens und des Wollens nicht preisgeben. Aber die Frage nach GOTT bleibt auch für sie gegenwärtig, auch wenn sie an die konkrete Weise Seiner Zuwendung zu uns nicht glauben können. In Paris habe ich vom GOTTsuchen als grundlegen­dem Antrieb gesprochen, aus dem das abendländische Mönch­tum und mit ihm die abendländische Kultur geboren wurde. Als ersten Schritt von Evangelisierung müssen wir versuchen, die­se Suche wahrzunehmen; uns darum mühen, dass der Mensch die GOTTESfrage als wesentliche Frage seiner Existenz nicht beiseite schiebt. Dass er die Frage und die Sehnsucht an­nimmt, die darin sich verbirgt. Hier fällt mir das Wort ein, das JESUS aus dem Propheten Jesaja zitiert hat: dass der Tempel von Jerusalem ein Gebetshaus für alle Völker sein solle (Jes 56,7, Mk 11,17). Er dachte dabei an den sogenannten Vorhof der Heiden, den Er von äußeren Geschäftigkeiten räumte, damit der Freiraum da sei für die Völker, die hier zu dem einen GOTT beten wollen, auch wenn sie dem Geheimnis nicht zugehören konnten, dem das Innere des Tempels diente… Sie sollten zum unbekannten GOTT beten können und damit doch mit dem wirklichen GOTT in Verbindung sein, wenn auch in vielerlei Dunkelheit. Ich denke, so eine Art ‚Vorhof der Heiden’ müsse die Kirche auch heute auftun, wo Menschen irgendwo sich an GOTT anhängen kön­nen, ohne Ihn zu kennen und ehe sie den Zugang zum Ge­heimnis gefunden haben, dem das innere Leben der Kirche dient…“

Weihnachtsempfang für das Kardinalskollegium
und die Römische Kurie, 21.12.2009

Das Kindsein JESU

„Wir dürfen nicht vergessen, dass der höchste Würdetitel JESU CHRISTI der des ‚Sohnes’ ist, SOHN GOTTES; die GÖTTliche Würde wird mit einem Wort benannt, das sich dauerhaft be­zieht auf das demütige Kindsein in der Krippe von Bethlehem. Doch steht das Kindsein in einer einzigartigen Entspre­chung zur GÖTTlichkeit, die die GÖTTlichkeit des ‚SOH­NES’ ist. So weist uns Sein Kindsein außerdem den Weg, wie wir GOTT begegnen und uns Seiner Gegenwart erfreu­en können. Im Licht von Weihnachten können wir die Worte JESU verstehen: ‚Wenn ihr nicht umkehrt und wie die Kinder werdet, könnt ihr nicht in das Himmelreich kommen’ (Mt 18,3). Wer das Geheimnis von Weihnachten nicht verstanden hat, hat das Entscheidende am Christsein nicht verstanden. Wer JESUS nicht mit dem Herzen eines Kindes aufnimmt, kann nicht in das Himmelreich kommen: das ist es, woran Fran­ziskus die Christenheit seiner Zeit und aller Zeiten bis heute erinnern wollte. Bitten wir GOTTVATER, Er möge unserem Herzen jene Schlichtheit gewähren, die im Kind den HERRN erkennt, so wie es Franziskus in Greccio getan hat…“

Generalaudienz, 23.12.2009

Antlitz GOTTES

„Am ersten Tag des Jahres haben wir die Freude und die Gnade, die allerseligste Mutter GOTTES und zugleich den Weltfriedenstag zu feiern. Bei beiden Anlässen feiern wir CHRISTUS, den SOHN GOTTES, geboren aus der Jungfrau Maria und unser wahrer Friede!… Sowohl in der 1. Lesung aus dem Buch Numeri als auch im Antwortpsalm haben wir einige Ausdrucksweisen gehört, die die auf GOTT bezogene Meta­pher des Angesichts enthalten: ‚Der HERR lasse Sein Ange­sicht über dich leuchten und sei dir gnädig’ (Num 6,25); ‚GOTT sei uns gnädig und segne uns. Er lasse über uns Sein Ange­sicht leuchten, damit auf Erden Sein Weg erkannt wird und unter allen Völkern Sein Heil’ (Ps 67,2-3). Das Gesicht ist Ausdruck der Person schlechthin, das, was sie wiederer­kennbar macht, das, worin sich ihre Gefühle, Gedanken, die Regungen des Herzens spiegeln. GOTT ist von Seinem Wesen her unsichtbar, und doch ordnet die Bibel auch Ihm dieses Bild zu. Zeigt Er Sein Angesicht, ist das Ausdruck Seines Wohlwollens; verbirgt Er es dagegen, drückt das Zorn und Missfallen aus… Die gesamte biblische Geschichte kann man als fortschreitendes Enthüllen des GÖTTlichen Ange­sichts lesen bis hin zu seiner vollen Offenbarung in JESUS CHRISTUS… Das Angesicht GOTTES hat ein menschliches Antlitz angenommen, Er lässt sich anblicken und erkennen im Sohn der Jungfrau Maria, die wir deshalb mit dem hohen Titel der ‚Mutter GOTTES’ verehren. Sie, die im Herzen das Ge­heimnis der GOTTESmutterschaft bewahrte, war die erste, die das Antlitz des menschgewordenen GOTTES in der Frucht ihres Leibes sah. Die Mutter hat eine ganz besondere, einzig­artige und in gewisser Hinsicht ausschließliche Beziehung zu ihrem Neugeborenen. Das erste Gesicht, das ein Kind sieht, ist das der Mutter, und dieser Blick ist entscheidend für seine Beziehung zum Leben, zu sich selbst, zu den anderen, zu GOTT; er ist entscheidend auch dafür, dass es ein ‚Mann des Friedens’ (Lk 10,6) werden kann. In der byzantinischen Tra­dition gibt es unter den zahlreichen Ikonentypen der Jungfrau Maria jene der ‚GOTTESmutter der Zärtlichkeit’, in der das JESUSKIND dargestellt wird, wie es Sein Gesicht – Wange an Wange – an das der Mutter drückt. Das Kind blickt auf die Mutter, und diese sieht uns an, so als wolle sie auf den beten­den Betrachter die Zärtlichkeit GOTTES reflektieren, der vom Himmel auf sie herabgekommen und Fleisch geworden ist in jenem Menschensohn, den sie auf den Armen trägt. In dieser Marienikone können wir etwas, das von GOTT selbst kommt, betrachten: ein Zeichen der unsagbaren Liebe, die Ihn dazu brachte, ‚Seinen einzigen SOHN hinzugeben’ (Joh 3,16). Doch dieselbe Ikone zeigt uns in Maria auch das Antlitz der Kirche, die auf uns und die ganze Welt das Licht CHRISTI ausstrahlt, jener Kirche, durch die jeden Menschen die frohe Botschaft erreicht: ‚Daher bist du nicht mehr Sklave, sondern Sohn’ (Gal 4,7), wie wir wiederum bei Paulus lesen…

(Wir) sind nur dann, wenn wir GOTT im Herzen tragen, dazu fähig, im Antlitz des anderen einen Bruder in der menschlichen Natur zu erkennen, kein Mittel, sondern ein Ziel, keinen Rivalen und keinen Feind, sondern ein anderes Ich, eine Facette des unendlichen Geheimnisses des menschlichen Wesens. Unsere Wahrnehmung der Welt und besonders unserer Mitmen­schen hängt wesentlich ab von der Anwesenheit des Geis­tes GOTTES in uns. Es ist eine Art ‚Resonanz’: Wer ein leeres Herz hat, nimmt nur flache Bilder ohne Tiefe wahr. Je mehr wir dagegen von GOTT bewohnt sind, desto empfänglicher sind wir auch für Seine Gegenwart in allem, was uns umgibt: in allen Geschöpfen und besonders in den anderen Menschen. Dennoch ist es manchmal schwer, gerade das menschliche Gesicht, wenn es von der Härte des Lebens und des Bösen ge­zeichnet ist, zu würdigen und es wahrzunehmen als Epiphanie GOTTES. Wenn wir einander anerkennen und respektieren wollen als das, was wir sind, nämlich Brüder, sind wir umso mehr darauf angewiesen, uns auf das Angesicht eines ge­meinsamen VATERS zu berufen, der uns alle liebt, trotz unse­rer Grenzen und unserer Fehler.

Es ist wichtig von klein auf zur Achtung des anderen erzogen zu werden, auch wenn er nicht so ist wie wir… Die Gesichter der Kinder sind wie ein Widerschein der Sicht GOTTES auf die Welt. Warum also ihr Lächeln auslöschen? Warum ihre Herzen vergiften? Leider findet die Ikone der MutterGOTTES der Zärtlichkeit ihr tragisches Gegenstück in den leidvollen Bildern so vieler Kinder und ihrer Mütter, die Krieg und Gewalt ausgeliefert sind: Flüchtlinge, Vertriebene, Zwangsmigranten. Gesichter, die gezeichnet sind von Hunger und Krankheit, entstellt von Schmerz und Verzweiflung. Die Gesichter der unschuldigen Kleinen sind ein stiller Appell an unsere Verant­wortung…“

Predigt am 1. Januar 2010

Jüdisches Erbe

„Aus unserem gemeinsamen Erbe von Gesetz und Propheten ergeben sich zahlreiche Implikationen… die zentrale Bedeu­tung des Dekalogs als gemeinsame ethische Botschaft von ewiger Gültigkeit für Israel, die Kirche, die Nichtglauben­den und die ganze Menschheit… Der Dekalog – das ‚Zehn­wort’ oder die Zehn Gebote (vgl. Ex 20,1-17; Dtn 5,1-21) –, der aus der Thora des Mose stammt, stellt eine Fackel der Ethik, der Hoffnung und des Dialogs dar, einen Polarstern des Glau­bens und der Moral des GOTTESwortes, und er erleuchtet und leitet auch den Weg der Christen. Er ist ein Leuchtfeuer und eine Lebensnorm in der Gerechtigkeit und Liebe, eine ethische ‚Magna Charta’ für die ganze Menschheit. Die ‚Zehn Worte’ werfen Licht auf das, was gut und böse, wahr und falsch, gerecht und ungerecht ist, auch gemäß dem rechten Gewissen jeder menschlichen Person. JESUS selbst hat es mehrfach wiederholt, indem er unterstrich, dass ein eifriger Einsatz auf dem Weg der Gebote nötig sei: ‚Wenn du aber das Leben erlangen willst, halte die Gebote’ (Mt 19,17). Aus dieser Sicht gibt es verschiedene Felder der Zusammenarbeit und des gemeinsamen Zeugnisses. Ich möchte an drei für unsere Zeit besonders wichtige Punkte erinnern.

Die ‚Zehn Worte’ fordern, den einzigen HERRN anzuerken­nen, gegen die Versuchung, sich andere Götter zu schaf­fen, goldene Kälber herzustellen. In unserer Welt kennen viele Menschen GOTT nicht oder halten Ihn für überflüssig, ohne Bedeutung für ihr Leben; so sind andere und neue Götter geschaffen worden, und der Mensch verneigt sich vor ihnen. In unserer Gesellschaft die Öffnung für die transzendente Dimen­sion wieder zu wecken, den einzigen GOTT zu bezeugen, ist ein wertvoller Dienst, den Juden und Christen gemeinsam anbieten können und müssen.

Die ‚Zehn Worte’ fordern die Achtung und den Schutz des Lebens gegen jede Ungerechtigkeit und Ausnutzung, indem sie den Wert jeder menschlichen Person, geschaffen nach dem Bild und Gleichnis GOTTES, anerkennen. Wie oft werden noch, in jedem Teil der Erde, nah und fern die Würde, die Frei­heit und die Menschenrechte mit Füßen getreten! Gemeinsam den höchsten Wert des Lebens gegen jeden Egoismus zu bezeugen ist ein wichtiger Beitrag zu einer Welt, in der Ge­rechtigkeit und Frieden herrschen sollen – der ‚Shalom’, der von Gesetzgebern, Propheten und Weisen Israels angekündigt worden ist.

Die ‚Zehn Worte’ fordern, die Heiligkeit der Familie zu be­wahren und zu fördern, in der das persönliche und gegen­seitige, treue und endgültige ‚Ja’ des Mannes und der Frau den Raum für die Zukunft, für die echte Menschlichkeit beider er­schließt und sich gleichzeitig dem Geschenk neuen Lebens öffnet. Bezeugen, dass die Familie weiterhin die wesentliche Zelle der Gesellschaft und der grundlegende Ort ist, an dem die menschlichen Tugenden gelernt und ausgeübt werden, ist ein wertvoller Dienst, der für die Gestaltung einer Welt mit einem menschlicheren Antlitz angeboten werden muss…“

Ansprache beim Besuch der Römischen Synagoge, 17.1.2010

Morallehre verteidigen und Glauben weitergeben

„Ich fordere euch auf, in eurer Eigenschaft als Seelenhirten dafür Sorge zu tragen, dass die Morallehre der Kirche stets in ihrer Ganzheit vertreten und überzeugend verteidigt wird. Die Treue zum Evangelium schränkt die Freiheit anderer in keiner Weise ein – im Gegenteil, sie dient ihr, indem sie den anderen die Wahrheit anbietet…

Macht es euch… zur Aufgabe, das Potential der Laiengläubi­gen in England und Wales zu nutzen und sie in die Lage zu versetzen, den Glauben nicht nur in verständlicher und sorgsamer Weise an die neuen Generationen weiterzuge­ben, sondern auch in dem klaren Bewusstsein, dass sie so die ihnen in der Sendung der Kirche zukommende Aufgabe erfüllen. In einem sozialen Umfeld, das zu jeder sich stellen­den Frage eine Vielfalt von Meinungen hervorbringt, ist es wichtig, den Dissens als das zu erkennen, was er ist, und ihn nicht mit einem mündigen Beitrag zu einer ausgewo­genen und umfassenden Debatte zu verwechseln. Was uns freimacht, ist die Wahrheit, die uns durch die Schrift und die Tradition offenbart und durch das kirchliche Lehramt zum Ausdruck gebracht wird. Kardinal Newman hat das er­kannt und uns ein leuchtendes Beispiel für die Treue zur geoffenbarten Wahrheit hinterlassen, indem er dem ‚freundlichen Licht’ folgte, wohin es ihn auch immer führte und welch große persönliche Opfer es ihm auch abverlangte…“

Ad-limina-Besuch der Bischöfe von England und Wales, 1.2.2010

Die geweihte Person – eine ‚Brücke’ zu GOTT

„Das geweihte Leben ist ein ‚starkes’ Zeugnis und Ausdruck gerade dieses gegenseitiges Suchens von GOTT und Mensch sowie der Liebe, die sie anzieht; die geweihte Person ist allein aus der Tatsache heraus, dass es sie gibt, wie eine ‚Brücke’ zu GOTT für alle, die ihr begegnen, wie ein Anruf, ein Verweis. Und all dies dank der Mittlerschaft JESU CHRISTI, dem vom VATER Gesalbten. Er ist das Fundament! Er, der unsere Schwäche geteilt hat, damit wir an Seiner GÖTTlichen Natur Anteil haben könnten…

Die geweihten Personen sind besonders gerufen, Zeugen dieser Barmherzigkeit des HERRN zu sein, in der der Mensch sein Heil findet. In ihnen ist die Erfahrung der Vergebung GOTTES lebendig, denn sie sind sich bewusst, dass sie ‚Ge­rettete’ sind, dass sie groß sind, wenn sie ihr Kleinsein beken­nen, dass sie sich erneuert und in die Heiligkeit GOTTES ge­hüllt fühlen, wenn sie ihre Sünden bekennen. Auch für den Menschen von heute bleibt deshalb das geweihte Leben eine bevorzugte Schule der ‚Reue des Herzens’, des demütigen Anerkennens der eigenen Schwäche, aber zugleich bleibt es eine Schule des Vertrauens in die Barmherzigkeit GOTTES, in Seine Liebe, die uns nie im Stich lässt. Denn je mehr man sich GOTT nähert, je näher man Ihm ist, desto mehr kann man den anderen nützlich sein. Die geweihten Personen machen die Erfahrung der Gnade, der Barmherzigkeit und der Verge­bung GOTTES nicht nur für sich selbst, sondern auch für die Brüder und Schwestern, denn sie sind berufen, in ihrem Herzen und ihrem Gebet die Ängste und Erwartungen der Menschen zu tragen, besonders derjenigen, die weit von GOTT entfernt sind. Insbesondere die in Klausur lebenden Gemein­schaften mit ihrer speziellen Verpflichtung der Treue des ‚beim HERRN Bleibens’ und ‚des Ausharrens unter dem Kreuz’, üben oftmals – vereint mit dem leidenden CHRISTUS – diese stellvertretende Rolle aus, indem sie die Leiden und Prü­fungen der anderen auf sich nehmen und alles freudig für das Heil der Welt aufopfern

Um wieviel ärmer wäre die Welt, wenn es das geweihte Leben nicht gäbe! Jenseits von oberflächlichen Nützlichkeitserwägun­gen ist das geweihte Leben gerade deshalb wichtig, weil es Zeichen der Unentgeltlichkeit und der Liebe ist, und das umso mehr in einer Gesellschaft, die Gefahr läuft, im Strudel des Vergänglichen und des Nützlichen zu ersticken… Das ge­weihte Leben dagegen bezeugt die Überfülle der Liebe, die dazu drängt, das eigene Leben zu ‚verlieren’ als Antwort auf die Überfülle der Liebe des HERRN, der als erster Sein Leben für uns ‚verloren’ hat…“

Predigt in der Vesper am Fest der Darstellung des HERRN (Tag des geweihten Lebens), 2.2.2010

Liebe ohne Gerechtigkeit ist keine Liebe, sondern Verfälschung

„Ich will heute auf den Wesenskern eures Dienstes [des Ge­richtshofes der Römischen Rota] eingehen und versuchen, seine Beziehung zu Gerechtigkeit, Liebe und Wahrheit zu ver­tiefen. Dabei werde ich mich vor allem auf Überlegungen stüt­zen, die ich in der Enzyklika Caritas in veritate angestellt habe und die, wenngleich im Kontext der Soziallehre der Kirche be­trachtet, auch andere kirchliche Bereiche erhellen können. Zur Kenntnis genommen werden muss die weitverbreitete und tief verwurzelte, wenn auch nicht immer offenkundige Ten­denz, die Gerechtigkeit in Gegensatz zur Liebe zu stellen, als würde die eine die andere ausschließen. Auf dieser Linie meinen manche – wobei sie sich in besonderer Weise auf das Leben der Kirche beziehen –, die pastorale Liebe könne jeden auf eine Nichtigkeitserklärung des Ehebandes abzielenden Schritt rechtfertigen, um Personen entgegenzukommen, die sich in irregulären ehelichen Situationen befinden. Somit würde die Wahrheit, auf die man sich zwar den Worten nach beruft, in einer instrumentellen Optik gesehen werden, die die Wahrheit von Fall zu Fall den jeweiligen Bedürfnissen anpasst.

Ausgehend von dem Begriff der ‚Rechtspflege’ möchte ich vor allem daran erinnern, dass euer Dienst im Wesentlichen ein Werk der Gerechtigkeit ist. Jener Gerechtigkeit, die als sittli­che Tugend ‚der beständige, feste Wille ist, GOTT und dem Nächsten das zu geben, was ihnen gebührt’ (KKK 1807). Der menschliche und christliche Wert dieser Tugend muss mehr denn je wiederentdeckt werden, auch innerhalb der Kirche. Das Kirchenrecht wird manchmal unterbewertet, als wäre es ein rein technisches Mittel im Dienst beliebiger subjek­tiver Interessen – auch solcher, die nicht auf die Wahrheit gegründet sind. Dabei muss dieses Recht doch stets in seiner wesentlichen Beziehung zur Gerechtigkeit betrachtet werden, in dem Bewusstsein, dass das Ziel der juristischen Aktivität der Kirche das Seelenheil ist und ‚eine besondere Teil­nahme an der Sendung CHRISTI als Hirten darstellt und in der Verwirklichung der Ordnung der Gerechtigkeit besteht…, die von CHRISTUS selbst gewollt ist’ (Johannes Paul II., An­sprache an die Römische Rota, 18.1.1990). In dieser Perspek­tive muss man sich vor Augen halten, dass der Prozess und das Urteil – ganz gleich, wie die jeweilige Situation auch sein mag – in grundlegender Weise an die Gerechtigkeit gebun­den sind und in deren Dienst stehen. Der Prozess und das Urteil sind nicht nur für die Parteien, sondern für das ge­samte Gefüge der Kirche von großer Bedeutung. Das kommt in besonderer Weise dann zum Tragen, wenn es darum geht, über die Nichtigkeit einer Ehe zu befinden, wobei sowohl das menschliche und übernatürliche Wohl der Ehegatten als auch das öffentliche Wohl der Kirche betroffen ist...

Ich möchte betonen, dass sich diese Personen [die im Bereich der Rechtsprechung Tätigen] in der Übung der menschlichen und christlichen Tugenden besonders auszeichnen sollen, vor allem der Klugheit und der Gerechtigkeit, aber auch der Tap­ferkeit. Letztere wird dann besonders relevant, wenn der leichteste Weg die Ungerechtigkeit zu sein scheint, weil sie eine nachgiebige Haltung gegenüber den Wünschen und Erwartungen der Parteien oder den Einflüssen des sozialen Umfeldes impliziert…

Liebe ohne Gerechtigkeit ist keine Liebe, sondern nur eine Verfälschung, weil die Liebe selbst jene Objektivität verlangt, die typisch ist für die Gerechtigkeit und die nicht mit un­menschlicher Kälte verwechselt werden darf… Wir müssen pseudopastorale Ausflüchte vermeiden, die diese Fragen auf einer rein horizontalen Ebene ansiedeln, auf der es darum geht, subjektive Forderungen zufriedenzustellen, um um jeden Preis eine Erklärung der Nichtigkeit zu erreichen – unter anderem zu dem Zweck, Hindernisse auszuräumen, die dem Empfang des Sakraments der Buße und der Eucharistie im Wege stehen. Das hohe Gut der Wiederzulassung zur eucharistischen Kommunion nach der sakramentalen Ver­söhnung erfordert dagegen, das wahre Wohl der Personen im Auge zu haben, das untrennbar mit der Wahrheit ihrer kirchenrechtlichen Situation verbunden ist. Es wäre ein fiktives Wohl und ein schwerwiegender Mangel an Gerechtigkeit und Liebe, wenn man ihnen dennoch den Weg zum Emp­fang der Sakramente ebnen würde. Und es würde auch die Gefahr bergen, diese Menschen in objektivem Gegensatz zur Wahrheit ihrer persönlichen Situation leben zu lassen

Ich möchte heute betonen, dass sowohl die Gerechtigkeit als auch die Liebe das Postulat der Wahrheitsliebe erfordert und im Wesentlichen die Suche nach dem Wahren mit sich bringt. Vor allem aber macht die Liebe den Bezug auf die Wahrheit umso erforderlicher. ‚Die Wahrheit zu verteidigen, sie demü­tig und überzeugt vorzubringen und sie im Leben zu be­zeugen, sind daher anspruchsvolle und unersetzliche For­men der Liebe. Denn diese ‚freut sich an der Wahrheit’ (1 Kor 13,6)’ (Caritas in veritate, 1). ‚Nur in der Wahrheit erstrahlt die Liebe und kann glaubwürdig gelebt werden […]. Ohne Wahr­heit gleitet die Liebe in Sentimentalität ab. Sie wird ein lee­res Gehäuse, das man nach Belieben füllen kann. Das ist die verhängnisvolle Gefahr für die Liebe in einer Kultur ohne Wahr­heit. Sie wird Opfer der zufälligen Gefühle und Meinungen der Einzelnen, ein Wort, das missbraucht und verzerrt wird, bis es schließlich das Gegenteil bedeutet’ (ebd., Nr. 3)…“

Ansprache an die Mitglieder des Gerichtshofes der Römischen Rota, 29.1.2010

 

 

 

 

2. Soziale Themen

 

 

Grundlage der Werte Europas vor allem christliches Erbe

„Es ist jedoch richtig zu betonen, dass sich die Europäische Union diese Werte nicht selbst gegeben hat, sondern dass es vielmehr diese gemeinsamen Werte sind, die diese Union überhaupt erst haben entstehen lassen… Diese Werte sind Frucht einer langen und verwickelten Geschichte, in der – was keiner leugnen wird – das Christentum eine herausra­gende Rolle gespielt hat. Die gleiche Würde aller Menschen, die Freiheit des Glaubensaktes als Wurzel aller anderen bür­gerlichen Freiheiten, der Friede als entscheidendes Element des Gemeinwohls, die menschliche Entwicklung – in intellektu­eller, sozialer und wirtschaftlicher Hinsicht – als GÖTTliche Berufung… und der sich daraus ableitende Sinn der Ge­schichte sind weitere zentrale Elemente der christlichen Offen­barung, die die europäische Zivilisation bis in die heutige Zeit prägen. Wenn die Kirche an die christlichen Wurzeln Europas erinnert, tut sie das nicht, weil sie für sich selbst eine privile­gierte Stellung anstreben möchte. Sie will historische Gedächt­nisarbeit leisten… Tiefergehend möchte sie auch zum Aus­druck bringen, dass die Grundlage der Werte vor allem aus dem christlichen Erbe stammt, das sie noch heute nach wie vor nährt

Die immensen intellektuellen, kulturellen und wirtschaftlichen Ressourcen des Kontinents werden weiterhin Früchte tragen, wenn sie von der transzendenten Sicht der menschlichen Per­son befruchtet werden, die den wertvollsten Schatz des euro­päischen Erbes bildet. Diese humanistische Tradition, in der sich viele, mitunter sehr unterschiedliche Denkrichtungen wie­dererkennen, befähigt Europa dazu, sich den Herausforderun­gen von morgen zu stellen und auf die Erwartungen der Be­völkerung zu antworten. Es handelt sich vor allem um das Su­chen nach dem richtigen und delikaten Gleichgewicht zwi­schen der wirtschaftlichen Effizienz und den sozialen Erfor­dernissen, dem Schutz der Umwelt und vor allem der un­verzichtbaren und notwendigen Unterstützung für das menschliche Leben von der Empfängnis bis zum natür­lichen Tod und für die auf die Ehe zwischen einem Mann und einer Frau gegründeten Familie. Europa wird nur dann wirklich es selbst sein, wenn es seine Ursprünglichkeit zu bewahren versteht, die seine Größe ausmacht und imstande ist, Europa auch in der Zukunft zu einem der Hauptakteure bei der Förderung der ganzheitlichen Entwicklung der Menschen zu machen, die die Kirche als den einzigen Weg ansieht, der die in unserer Welt vorhandenen Störungen zu heilen vermag.“

Ansprache an den neuen Vertreter der EU-Kommission beim Hl. Stuhl, Yves Gazzo, 19.10.2009

Weckt die Gewissen!

„Es ist nicht übertrieben zu behaupten, dass ein glaubwürdi­ges soziales Leben im Gewissen jedes Einzelnen beginnt. Da das gut gebildete Gewissen zur Verwirklichung des wahren Wohls des Menschen führt, erleuchtet die Kirche durch die Klarstellung, was dieses Wohl eigentlich ist, den Menschen und versucht durch das ganze christliche Leben sein Ge­wissen zu erziehen. Die Lehre der Kirche findet durch ihren Ursprung – GOTT –, ihren Inhalt – die Wahrheit – und ihren Stützpunkt – das Gewissen – einen tiefen und überzeugenden Widerhall im Herzen jedes Menschen, des gläubigen und selbst des nicht glaubenden. Konkret, ‚das Evangelium vom Leben ist nicht ausschließlich für die Gläubigen da: es ist für alle da. Die Frage des Lebens und seiner Verteidigung und Förde­rung ist nicht alleiniges Vorrecht des Christen. Auch wenn es vom Glauben außerordentliches Licht und Kraft empfängt, gehört es jedem menschlichen Gewissen, das sich nach der Wahrheit sehnt und um das Schicksal der Menschheit bedacht und besorgt ist…’ (EV 101).

Verehrte Brüder, sprecht zum Herzen eures Volkes, weckt die Gewissen, vereint die Willensäußerungen in einer gemeinsa­men Aktion gegen die zunehmende Welle der Gewalt und die Missachtung des Menschen. Dieser ist von einem in der liebevollen Vertraulichkeit der Ehe zwischen einem Mann und einer Frau empfangenen Geschenk GOTTES zu etwas geworden, das als ein rein menschliches Produkt angese­hen wird… Die Überzeugung der rechten Vernunft und die Gewissheit des Glaubens, für den das Leben des Menschen von der Empfängnis bis zum natürlichen Tod GOTT und nicht dem Menschen gehört, verleiht ihm jenen heiligmäßi­gen Charakter und jene persönliche Würde, die die einzige zulässige und moralisch korrekte Haltung hervorruft, nämlich die Haltung der tiefen Achtung. Denn der Herr des Lebens hat gesagt: ‚…für das Leben des Menschen fordere ich Rechen­schaft von jedem seiner Brüder… Denn als Abbild GOTTES hat Er den Menschen gemacht’ (Gen 9, 6).“

Ad-limina-Besuch der 4. Gruppe der Bischöfe Brasiliens, 14.11.2010

Den Frieden fördern durch Bewahrung der Schöpfung

„Auch wenn die Kirche es vermeidet, sich zu spezifischen fach­lichen Lösungen zu äußern, so bemüht sie sich als ‚Expertin in Menschlichkeit’, mit aller Kraft die Aufmerksamkeit auf die Beziehung zwischen dem Schöpfer, dem Menschen und der Schöpfung zu lenken… Die von der Hl. Schrift beschriebene Harmonie zwischen GOTT, der Menschheit und der Schöp­fung wurde durch die Sünde Adams und Evas zerbrochen, durch die Sünde des Mannes und der Frau, die die Stelle GOTTES einnehmen wollten und sich weigerten, sich als Seine Geschöpfe zu sehen. Konsequenz dessen ist, dass auch die Aufgabe, über die Erde zu ‚herrschen’, sie zu ‚bebauen’ und zu ‚hüten’, Schaden genommen hat und es zu einem Konflikt zwischen ihnen und der übrigen Schöpfung gekommen ist (vgl. Gen 3,17-19). Der Mensch hat sich vom Egoismus beherr­schen lassen und die Bedeutung von GOTTES Gebot aus dem Blick verloren, und in seiner Beziehung zur Schöpfung hat er sich wie ein Ausbeuter verhalten, der über sie eine absolute Dominanz ausüben will. Die wahre Bedeutung des anfänglichen Gebots GOTTES bestand aber, wie es das Buch Genesis deutlich zeigt, nicht bloß in einer Übertragung von Autorität, sondern vielmehr in einer Berufung zur Verant­wortung. Übrigens erkannte die Weisheit der Antike, dass die Natur uns nicht wie ‚ein Haufen von zufällig verstreutem Abfall’ (Heraklit von Ephesus, ca. 535-475 v. Chr.) zur Verfügung steht, während uns die biblische Offenbarung verstehen ließ, dass die Natur eine Gabe des Schöpfers ist, der ihr eine innere Ordnung gegeben hat, damit der Mensch darin die notwendigen Orientierungen finden kann, um sie ‚zu be­bauen und zu hüten’ (vgl. Gen 2,15). Alles, was existiert, ge­hört GOTT, der es den Menschen anvertraut hat, aber nicht zur ihrer willkürlichen Verfügung. Wenn der Mensch nicht seine Rolle als Mitarbeiter GOTTES erfüllen, sondern die Stelle GOTTES einnehmen will, ruft er dadurch schließlich die Auf­lehnung der Natur hervor, die von ihm ‚mehr tyrannisiert als verwaltet wird’. Der Mensch hat also die Pflicht, in verantwort­licher Weise über die Natur zu herrschen, sie zu hüten und zu bebauen…“

Botschaft zum Weltjugendtag, 1. Januar 2010 (vom 8.12.09)

Feindseligkeit gegenüber dem Christentum

„Leider macht sich in manchen, vorwiegend westlichen Län­dern in den Bereichen der Politik und der Kultur sowie in den Medien eine Haltung der Geringschätzung und mitunter eine Feindseligkeit – um nicht zu sagen Verachtung – ge­genüber der Religion und insbesondere der christlichen Re­ligion breit. Wenn der Relativismus als ein wesentliches kon­stitutives Element der Demokratie angesehen wird, dann ist es klar, dass die Gefahr besteht, die Trennung von Kirche und Staat nur im Sinne eines Ausschlusses oder, genauer gesagt, einer Ablehnung der gesellschaftlichen Bedeutung des Religiö­sen zu betrachten. Ein solcher Ansatz schafft jedoch Kon­frontation und Spaltung, verletzt den Frieden, stört die Hu­manökologie und endet aufgrund der prinzipiellen Zurück­weisung anderer Einstellungen in einer Sackgasse. Daher muss dringend eine positive und offene Trennung von Kirche und Staat definiert werden, die auf der Grundlage einer rechtmäßigen Autonomie der säkularen und der geistlichen Ordnung eine gesunde Zusammenarbeit und einen Geist der gemeinsamen Verantwortung fördert…“

Neujahrsempfang für das Diplomatische Korps, 11.1.2010

Keine Abstriche von der kirchlichen Lehre

„Die Befürwortung der Euthanasie betrifft die Herzmitte der christlichen Auffassung von der Würde des menschlichen Le­bens. Die jüngsten Entwicklungen in der Medizinethik und einige auf dem Gebiet der Embryologie befürwortete Prak­tiken geben Anlass zu großer Sorge. Wenn auf einem solchen Gebiet auch nur geringe Abstriche an der kirchlichen Lehre gemacht werden, dann wird es schwer, die Fülle der ka­tholischen Lehre in ganzheitlicher Weise zu verteidigen. Die Hirten der Kirche müssen die Gläubigen daher allseits zur bedingungslosen Treue zum kirchlichen Lehramt anhalten und gleichzeitig das Recht der Kirche einfordern und vertei­digen, ihre Glaubensüberzeugungen in der Gesellschaft frei leben zu dürfen… Gebt nicht dem Druck nach, die christliche Botschaft zu verwässern…“

Ad-limina-Besuch der schottischen Bischöfe, 5.2.2010

 

 

 

3. Ehe, Familie und Erziehung

 

 

Scheidungswaisen haben „zu viele Eltern“

„Ich möchte heute zu euch über den ersten dieser Wege spre­chen: die auf die Ehe gegründete Familie als ‚Ehebund, in dem sich die Eheleute gegenseitig schenken und anneh­men’ (Gaudium et spes, 48). Als vom GÖTTlichen Gesetz bestätigte natürliche Institution ist die Familie auf das Wohl der Eheleute und auf die Zeugung und Erziehung der Nachkom­menschaft hingeordnet und findet darin ihre Krönung (vgl. ebd.). Indem sie dies alles in Frage stellen, scheinen in der heutigen Gesellschaft gewisse Kräfte und Stimmen darum bemüht zu sein, die natürliche Wiege des menschlichen Lebens zu zerstören

Da wir wissen, dass nur von GOTT jene Ebenbildlichkeit und Ähnlichkeit stammen kann, die dem Menschen wesenseigen ist (vgl. Gen 1,27), wie es bei der Schöpfung geschehen ist – die Zeugung ist die Fortführung der Schöpfung –, beuge ich mit euch und mit euren Gläubigen ‚meine Knie vor dem VATER, nach dessen Namen jedes Geschlecht im Himmel und auf der Erde benannt wird, und bitte, Er möge euch aufgrund des Reichtums Seiner Herrlichkeit schenken, dass ihr in eurem Innern durch Seinen Geist an Kraft und Stärke zunehmt’ (Eph 3,14-16). Möge in jedem Heim der Vater und die Mutter, durch die Kraft des HL. GEISTES innerlich gestärkt, weiterhin ein­trächtig GOTTES Segen in ihrer Familie sein, indem sie die Ewigkeit ihrer Liebe in den Gnadenquellen suchen, die der Kirche anvertraut sind; denn diese ist ‚das von der Einheit des VATERS und des SOHNES und des HL. GEISTES her geeinte Volk’ (Lumen gentium, 4).

Doch während die Kirche das menschliche Leben mit dem Leben der Allerheiligsten DREIFALTIGKEIT – erste Lebensein­heit in der Vielzahl der Personen – vergleicht und nicht müde wird zu lehren, dass die Familie ihr Fundament in der Ehe und im Plan GOTTES hat, befindet sich das in der säkulari­sierten Welt verbreitete Bewusstsein diesbezüglich in der tiefsten Unsicherheit, vor allem seitdem die westlichen Gesell­schaften die Ehescheidung legalisiert haben. Die einzige anerkannte Grundlage scheint das Gefühl bzw. die indivi­duelle Subjektivität zu sein, die im Willen zum Zusammen­leben zum Ausdruck kommt. In dieser Situation geht die Zahl der Eheschließungen zurück, da sich viele in ihrem Leben nicht unter einer so zerbrechlichen und unbeständigen Vorausset­zung binden wollen; die Zahl der De-facto-Lebensgemein­schaften und der Scheidungen nimmt zu. In dieser Zer­brechlichkeit vollzieht sich das Drama so vieler Kinder, die, der Unterstützung durch die Eltern beraubt, Opfer des Unbehagens und der Verlassenheit werden, wodurch sich soziale Unordnung ausbreitet.

Angesichts der Trennung der Eheleute und der Scheidung, angesichts der Zerstörung der Familien und angesichts der Folgen, die die Scheidung für die Kinder mit sich bringt, kann die Kirche nicht gleichgültig bleiben. Um eine angemessene Ausbildung und Erziehung zu erfahren, brauchen die Kinder äußerst klare und konkrete Bezugspunkte, das heißt ent­schlossene und sichere Eltern, die auf unterschiedliche Weise an ihrer Erziehung mitwirken. Nun wird es gleichsam zum Prinzip, dass die Praxis der Ehescheidung durch die soge­nannte erweiterte und unbeständige Familie, die die Zahl der ‚Väter’ und ‚Mütter’ vervielfacht und dazu führt, dass heute der Großteil derjenigen, die sich ‚Waisen’ nennen, nicht elternlose Kinder sind, sondern Kinder, die zu viele ‚Eltern’ haben. Die Situation mit Formen unvermeidlicher Einmischung und dem Sich-Überkreuzen von Beziehungen muss innere Konflikte und Verwirrungen hervorrufen und trägt dazu bei, in den Kindern zwangsläufig ein verfälschtes Familienbild entstehen zu lassen, das sich an das jeweilige Zusammenleben wegen seiner Vorläufigkeit gewissermaßen anpassen lässt. Es ist feste Überzeugung der Kirche, dass die Probleme, vor denen die Eheleute heute stehen und die ihre Verbindung schwächen, eine echte Lösung nur in einer Rückkehr zur Festigkeit der christlichen Familie finden: Sie ist der Raum gegenseitigen Vertrauens, wechselseitiger Hin­gabe, der Achtung der Freiheit und der Erziehung zum sozialen Leben. Es ist wichtig, daran zu erinnern, dass ‚die Liebe der Gatten von Natur aus die Einheit und Unauflöslichkeit ihrer personalen Gemeinschaft, die ihr ganzes Leben umfasst, er­fordert’ (KKK 1644). In der Tat hat JESUS mit aller Klarheit gesagt: ‚Wer seine Frau aus der Ehe entlässt und eine andere heiratet, begeht ihr gegenüber Ehebruch. Auch eine Frau begeht Ehebruch, wenn sie ihren Mann aus der Ehe entlässt und einen anderen heiratet’ (Mk 10,11-12). Bei allem Ver­ständnis, das die Kirche angesichts solcher Situationen an den Tag legen kann, muss festgehalten werden, dass es Ehe­leute aus einer zweiten Verbindung nicht gibt, sondern nur aus der ersten Verbindung; die andere ist eine irreguläre und gefährliche Situation, die in der Treue zu CHRISTUS dadurch gelöst werden muss, dass mit Hilfe eines Priesters ein möglicher Weg gefunden wird, um alle zu retten, die sich in dieser Lage befinden.

Um den Familien zu helfen, fordere ich euch auf, sie mit Über­zeugung auf die Tugenden der Hl. Familie hinzuweisen: das Gebet, Eckstein jeder Familie, die ihrer Identität und ihrer Sen­dung treu ist; die Arbeitsamkeit, Achse jeder reifen und verant­wortungsvollen Ehe; das Schweigen, Grundlage jeder freien und wirksamen Aktivität…Ich habe Vertrauen in das Zeugnis jener Familien, die ihre Kraft aus dem Sakrament der Ehe schöpfen; mit ihnen wird es möglich, die auftretende Versu­chung zu überwinden, eine Beleidigung zu vergeben, ein kran­kes Kind anzunehmen, das Leben des anderen, auch wenn er schwach und behindert ist, durch die Schönheit der Liebe zu erhellen. Ausgehend von diesen Familien muss das Gefüge der Gesellschaft wiederhergestellt werden…“

Ad-limina-Besuch der 3. Gruppe der brasilianischen Bischöfe, 25.9.2009

Erziehungsenzyklika Divini illius magistri

„Eure Universität, die 1939… zu dem Zweck gegründet wurde, für Ordensfrauen, die für den Unterricht an katholischen Schu­len bestimmt sind, eine angemessene Universitätsausbildung zu fördern, begann ihre Tätigkeit in dem Klima eines Bil­dungsengagements der katholischen Welt, das von der Enzyklika Divini illius magistri Pius’ XI. geweckt worden war… Tatsächlich ist das heutige Umfeld von einem besorg­niserregenden Erziehungs- bzw. Bildungsnotstand gekenn­zeichnet… Ihr, liebe Studierende, die ihr in eine zerrissene und relativistische Gesellschaft hineingeworfen seid, haltet den Geist und das Herz stets offen für die Wahrheit…“

Audienz für Dozenten und Studierende der Freien Universität Maria Santissima Assunta, 12.11.2009

Relativismus vergiftet die Erziehung

„Das missionarische Wirken der Kirche muss sein Augenmerk daher auf diese neuralgischen Punkte der Gesellschaft des 3. Jahrtausends richten und darf den Einfluss einer weit ver­breiteten relativistischen Kultur nicht unterschätzen, der es oft an Werten fehlt und die auch vor dem Heiligtum der Familie nicht haltmacht. Sie schleicht sich in die Erziehung und andere Bereiche der Gesellschaft ein, vergiftet sie und manipuliert die Gewissen, besonders der jungen Menschen. Die Kirche weiß aber auch, dass der HL. GEIST trotz dieser Anfechtungen immer am Wirken ist. So kommt es, dass sich dem Evangelium dennoch neue Türen öffnen und sich der Wunsch nach einer echten geistlichen und apostolischen Er­neuerung in der Welt verbreiten kann. Wie schon in anderen Epochen, die im Zeichen der Veränderung standen, besteht die pastorale Priorität darin, das wahre Antlitz CHRISTI, des Herr­schers über die Geschichte und einzigen Erlösers der Mensch­heit, zu zeigen. Das erfordert, dass jede christliche Gemein­schaft und die Kirche in ihrer Gesamtheit gemeinsam Zeugnis ablegen für die Treue zu CHRISTUS…“

An die Vollversammlung der Kongregation für die Evangelisierung der Völker, 13.11.2009

Erziehung: Zusammenarbeit zwischen Eltern und GOTT

„Heute begehen wir den Sonntag der Hl. Familie… Die heutige Liturgie legt uns die berühmte Episode aus dem Evangelium über den zwölfjährigen JESUS vor… Von wem hat JESUS die Liebe zu dem gelernt, ‚was Seinem VATER gehört’? Als SOHN besaß er gewiss eine tiefe Kenntnis GOTTES, Seines VATERS, eine beständige innere und persönliche Bezie­hung zu Ihm. In Seiner konkreten Erziehung jedoch hat Er die Gebete, die Liebe zum Tempel und zu den Institutionen Israels mit Sicherheit von Seinen Eltern gelernt. Wir können also sagen, dass die Entscheidung JESU, im Tempel zu bleiben, vor allem Frucht Seiner engen Beziehung zum VATER, aber auch Ergebnis der durch Maria und Josef empfangenen Erziehung war. Hier können wir den echten Sinn der christli­chen Erziehung sehen: Sie ist das Ergebnis einer Zusam­menarbeit, die stets gesucht werden muss zwischen den Erziehern und GOTT. Die christliche Familie ist sich bewusst, dass die Kinder ein Geschenk und ein Plan GOTTES sind. Daher darf sie diese nicht als ihren Besitz betrachten, sondern sie dient in ihnen dem Plan GOTTES und ist so dazu berufen, sie zur größten Freiheit zu erziehen, welche gerade darin be­steht, ‚Ja’ zu GOTT zu sagen, um Seinen Willen zu tun. Die Jungfrau Maria ist das vollkommene Vorbild für dieses ‚Ja’. Ihr empfehlen wir alle Familien und beten besonders für ihren kost­baren Erziehungsauftrag.

Und jetzt wende ich mich in spanischer Sprache an alle Teil­nehmer am Fest der Hl. Familie in Madrid…

GOTT kommt im Schoß einer Familie zur Welt und zeigt so, dass diese Institution ein sicherer Weg ist, um Ihm zu begeg­nen und Ihn kennenzulernen; ebenso erweist sie sich als stän­dige Berufung, für die Einheit aller in der Liebe zu wirken. Daher besteht einer der größten Dienste, den wir Christen den anderen leisten können, in unserem frohen und festen Zeugnis für die auf der Ehe zwischen einem Mann und einer Frau gegründete Familie, indem wir sie schützen und fördern, da sie von höchster Wichtigkeit für die Gegenwart und Zukunft der Menschheit ist. Die Familie nämlich ist die beste Schule, in der jene Werte erlernt und gelegt werden, die der mensch­lichen Person Würde verleihen und die Völker groß machen. Darüber hinaus wird in ihr Freud und Leid geteilt, weil sich alle in der Liebe geborgen fühlen, die im Haus allein aufgrund der Tatsache herrscht, Mitglied derselben Familie zu sein.

Ich bitte GOTT, auf dass in euren Familien stets diese Liebe der völligen Hingabe und Treue zu spüren sei, die JESUS mit Seiner Geburt in die Welt gebracht hat. Nährt und stärkt die Liebe durch das tägliche Gebet, die ständige Praxis der Tugenden, das gegenseitige Verständnis und die gegenseitige Ach­tung…“

Angelus-Ansprache am 27.12.2009

Nein der Kirche ist Ja zum Leben

„Die Notwendigkeit und Dringlichkeit, den Jugendlichen zu helfen, ihr zukünftiges Leben auf echte Werte zu gründen, ist für alle offensichtlich. Diese Werte nehmen Bezug auf eine ‚hohe’ Sicht des Menschen und finden im religiösen und kulturellen christlichen Erbe ihren höchsten Ausdruck. Heute wollen die jungen Generationen wissen, wer der Mensch ist, was seine Bestimmung ist, und sie suchen Antworten, die ihnen den Weg weisen können, den sie gehen müssen, um ihr Leben auf die ewigen Werte zu gründen. Insbesondere bei den Bildungsangeboten zu den für das Leben so wichtigen, großen Themen der Affektivität und Sexualität muss ver­mieden werden, den Heranwachsenden und Jugendlichen Wege aufzuzeigen, die eine Banalisierung dieser für das menschliche Leben grundlegenden Dimensionen begüns­tigen. Mit diesem Ziel bittet die Kirche um die Mitarbeit aller, insbesondere aller in der Schule Tätigen, um zu einer hohen Sicht der Liebe und der menschlichen Sexualität zu erzie­hen. Diesbezüglich möchte ich einladen zu verstehen, dass die Kirche, wenn sie ‚Nein’ sagt, in Wirklichkeit ‚Ja’ zum Leben sagt, zu einer in der Wahrheit der Selbsthingabe an den anderen gelebten Liebe, zu einer Liebe, die sich dem Leben öffnet und sich nicht in einer narzisstischen Sicht des Ehepaares verschließt. Sie ist davon überzeugt, dass nur diese Entscheidungen zu einem Lebensmodell führen können, in dem das Glück ein gemeinsames Gut ist. In Bezug auf diese Themen wie auch die Themen der auf die Ehe gegründeten Familie und der Achtung des Lebens von seiner Empfängnis bis zu seinem natürlichen Ende muss die kirchliche Gemein­schaft der Wahrheit treu bleiben, ‚die allein Garant der Freiheit und der Möglichkeit einer ganzheitlichen menschlichen Ent­wicklung ist’ (Caritas in veritate, 9)…“

Audienz für Politiker und Verwaltungsmitarbeiter von Rom und Latium, 14.1.2010

Kinder müssen mit beiden Elternteilen aufwachsen

„Eure Vollversammlung steht unter dem Thema ‚Die Rechte des Kindes‘. Es wurde gewählt im Hinblick auf den 20. Jahrestag des Übereinkommens, das die Vollversammlung der Vereinten Nationen 1989 getroffen hat. Nach dem Vorbild CHRISTI hat die Kirche in allen Jahrhunderten den Schutz der Würde und der Rechte der Minderjährigen gefördert und hat auf vielerlei Weise für sie Sorge getragen. Leider haben jedoch verschiedentlich einige ihrer Glieder dieser Ver­pflichtung zuwidergehandelt und diese Rechte verletzt: Die Kirche versäumt es nicht, ein solches Verhalten zu bedau­ern und zu verurteilen, und sie wird dies niemals versäumen. Die Liebe und die Lehre JESU, für den die Kinder ein Vorbild waren, das man nachahmen muss, um in das Himmelreich zu kommen (vgl. Mt 18,1-6; 19,13-14), waren stets ein dringender Aufruf, ihnen tiefe Achtung und Fürsorge entgegenzubringen. Die harten Worte JESU gegen jeden, der einen dieser Kleinen zum Bösen verführt (vgl. Mk 9,42), verpflichten alle, diese Achtung und diese Liebe niemals geringer werden zu lassen.

Daher wurde auch das Übereinkommen über die Rechte des Kindes vom Heiligen Stuhl mit Wohlwollen angenommen, denn es enthält positive Äußerungen zu Adoption, Gesundheits­fürsorge, Erziehung und Bildung, Behindertenfürsorge und den Schutz der Kinder gegen Gewalt, Verwahrlosung, sexuelle Ausbeutung und Kinderarbeit. In der Präambel bezeichnet das Übereinkommen die Familie ‚als Grundeinheit der Gesellschaft und natürliche Umgebung für das Wachsen und Gedeihen aller ihrer Mitglieder, insbesondere der Kinder‘. In der Tat ist die auf der Ehe zwischen einem Mann und einer Frau grün­dende Familie die größte Hilfe, die man Kindern bieten kann. Sie wollen geliebt werden von einer Mutter und von einem Vater, die einander lieben, und sie müssen mit beiden Elternteilen zusammen wohnen, aufwachsen und leben, denn die Mutter- und Vaterfigur ergänzen einander bei der Er­ziehung der Kinder und beim Aufbau ihrer Persönlichkeit und ihrer Identität. Es ist daher wichtig, dass man alles tut, was möglich ist, um sie in einer vereinten und stabilen Familie auf­wachsen zu lassen. Zu diesem Zweck müssen die Eheleute er­mahnt werden, die tiefe Bedeutung und die Sakramentalität ihres Ehebundes niemals aus den Augen zu verlieren und ihn zu festigen durch das Hören auf das Wort GOTTES, das Gebet, den ständigen Dialog, die gegenseitige Annahme und die gegenseitige Vergebung. Ein familiäres Umfeld, das von Unfrieden geprägt ist, Spaltungen zwischen dem Eltern­paar und insbesondere Trennung und Scheidung bleiben nicht ohne Folgen für die Kinder. Dagegen ist die Unterstützung der Familie und die Förderung ihres wahren Gutes, ihrer Rechte sowie ihrer Einheit und Stabilität die beste Weise, um die Rechte und die wahren Bedürfnisse der Minderjährigen zu schützen.“

Audienz für die 19. Vollversammlung des Pp. Rates für die Familie, 8.2.2010

„Das Gedeihen von Berufungen zum Priestertum und zum Ordensleben hängt zu einem großen Teil von der sittlichen und religiösen Gesundheit der christlichen Familien ab. Leider ist die Institution der Familie in unserer Zeit in einer säkularisierten und orientierungslosen Gesellschaft nicht weni­gen Gefahren ausgesetzt. Die katholischen Familie in euren Ländern, die zur Zeit der Prüfung ihre Treue zum Evan­gelium bezeugt haben – manchmal zu einem hohen Preis –, sind nicht immun gegen die Plagen der Abtreibung, der Be­stechlichkeit, des Alkoholismus, der Drogensucht und der Ge­burtenkontrolle mit Hilfe von Methoden, die die Würde der Person missachten...“

Ad-limina-Besuch der Bischöfe von Rumänien, 12.2.2010

 

 

 

4. Heilige

 

 

Theologische Auseinandersetzung zwischen  Bernhard von Clairvaux und Abaelard

„In der letzten Katechese habe ich die wichtigsten Wesens­merkmale der monastischen und der scholastischen Theologie des 12. Jahrhunderts vorgestellt, die wir in einem gewissen Sinn ‚Theologie des Herzens’ und ‚Theologie der Vernunft’ nennen könnten. Unter den Vertretern der beiden theologi­schen Strömungen hat sich eine umfangreiche und bisweilen hitzige Debatte entwickelt, die von der Kontroverse zwischen dem hl. Bernhard von Clairvaux und Abaelard symbolisch ver­körpert wird. Um diese Auseinandersetzung… zu verstehen, ist es angebracht, daran zu erinnern, dass die Theologie, soweit dies möglich ist, die Suche nach einem vernünftigen Ver­ständnis der Geheimnisse der christlichen Offenbarung ist, die aufgrund des Glaubens geglaubt werden: ‚fides quaerens intellectum’, der Glaube sucht die Verstehbarkeit… Für Bernhard ist der Glaube selbst mit einer inneren Gewissheit ausgestattet, die auf das Zeugnis der Schrift und die Lehre der Kirchenväter gegründet ist. Zudem wird der Glaube durch das Zeugnis der Heiligen und durch die Inspiration des HL. GEISTES in der Seele der einzelnen Gläubigen gestärkt. In den Fällen von Zweifel und Zweideutigkeit wird der Glaube durch die Ausübung des kirchlichen Lehramtes geschützt und erleuchtet. So hatte Bernhard Mühe, sich mit Abaelard und allgemeiner mit denjenigen zu einigen, die die Wahrheit des Glaubens der kritischen Prüfung durch die Vernunft un­terzogen; eine Prüfung, die seiner Ansicht nach eine ernste Gefahr mit sich brachte, nämlich die Gefahr des Intellek­tualismus, der Relativierung der Wahrheit, der Infrage­stellung der Glaubenswahrheiten selbst. In einer solchen Vorgehensweise sah Bernhard eine bis zur Skrupellosigkeit vorangetriebene Kühnheit, Frucht des Hochmuts der mensch­lichen Intelligenz… Abaelard… war ein brillanter Redner: Sei­nen Vorlesungen folgten ganze Scharen von Studenten. Er war ein religiöser Geist, aber eine ruhelose Persönlichkeit; sein Leben war voller Überraschungsmomente: Er widersetzte sich in seinen Lehrern, hatte ein Kind mit einer gebildeten und intelligenten Frau, Heloise. Er polemisierte häufig mit seinen Theologenkollegen und erlitt auch kirchliche Verurteilungen, starb jedoch in voller Gemeinschaft mit der Kirche, deren Auto­rität er sich im Geiste des Glaubens unterwarf… Tatsächlich schwächte ein übertriebener Gebrauch der Philosophie in gefährlicher Weise Abaelards Dreifaltigkeitslehre und damit seine Vorstellung von GOTT. Auf dem Gebiet der Moral war seine Lehre nicht frei von Zweideutigkeit: Er bestand darauf, die Absicht des Subjekts als die einzige Quelle zu be­trachten, um Güte oder Bosheit der moralischen Akte zu beschreiben, wodurch er die objektive Bedeutung und den moralischen Wert der Handlungen vernachlässigte: ein ge­fährlicher Subjektivismus. Das ist – wie wir wissen – ein sehr aktueller Aspekt für unsere Zeit, in der die Kultur häufig von einer zunehmenden Tendenz zum ethischen Relativismus geprägt erscheint: Allein das Ich entscheidet darüber, was für mich in diesem Augenblick gut ist…

Darüber hinaus muss hervorgehoben werden, dass zu den Motivationen, die Bernhard dazu führten, gegen Abaelard auf­zutreten und das Eingreifen des Lehramtes anzuregen, auch die Sorge gehört, die einfachen und bescheidenen Gläubi­gen zu schützen, die verteidigt werden müssen, wenn sie Gefahr laufen, von allzu persönlichen Meinungen und von gewissenlosen theologischen Argumentationen, die ihren Glauben gefährden könnten, verwirrt oder abgelenkt wer­den.

Ich möchte schließlich daran erinnern, dass die theologische Auseinandersetzung zwischen Bernhard und Abaelard mit einer vollen Versöhnung zwischen den beiden ihren Abschluss gefunden hat…Abaelard zeigte Demut, indem er seine Irrtümer anerkannte, und Bernhard ließ großes Wohlwollen walten. Bei beiden überwog das, was einem wirklich am Herzen liegen muss, wenn eine theologische Kontroverse entsteht, das heißt, den Glauben der Kirche zu schützen und die Wahrheit in der Liebe triumphieren zu lassen…“

Generalaudienz, 4.11.2009

Naturrecht und Rechtsordnung – Johannes von Salisbury

„Heute wollen wir die Gestalt des Johannes von Salisbury kennenlernen, der zu einer der wichtigsten philosophischen und theologischen Schulen des Mittelalters, der Kathedral­schule von Chartres, gehörte… zwischen 1100 und 1120 im englischen Salisbury geboren… von seinem großen Freund, Bernhard von Clairvaux, Erzbischof Theobald von Canterbury vorgestellt, der ihn gern in seinen Klerus aufnahm… In den Jahren nach dem Tod Hadrians IV. im Jahr 1159 entstand in England eine Situation schwerwiegender Spannung zwischen Kirche und dem Königreich. König Heinrich II. beabsichtigte nämlich, seine Oberhoheit über das interne Leben der Kirche geltend zu machen und ihre Freiheit zu beschränken. Diese Einstellung weckte die Reaktionen des Johannes von Salisbury und vor allem den mutigen Widerstand des Nachfolgers Theo­balds auf dem Bischofssitz von Canterbury, des hl. Thomas Becket… Johannes (wurde) zum Bischof von Chartres gewählt, wo er 1176 bis 1180, seinem Todesjahr, blieb.

Unter den Werken des Johannes von Salisbury möchte ich zwei hervorheben, die als seine Hauptwerke gelten… Während die anderen in diesem Werk [‚Polycráticus’ – Traktat über Phi­losophie und politische Theologie] behandelten Argumente an die geschichtlichen Umstände gebunden sind, unter denen es verfasst wurde, ist das Thema der durch die Gerechtigkeit vermittelten Beziehung zwischen Naturrecht und positiver Rechtsordnung noch heute von großer Bedeutung. In unserer Zeit erleben wir nämlich besonders in einigen Ländern ein besorgniserregendes Auseinanderklaffen zwischen der Vernunft, deren Aufgabe es ist, die an die Würde der menschlichen Person gebundenen ethischen Werte zu entdecken, und der Freiheit, die die Verantwortung hat, sie anzunehmen und zu fördern. Vielleicht würde uns Johannes von Salisbury heute daran erinnern, dass nur jene Gesetze der Gerechtigkeit entsprechen, die die Unantastbarkeit des menschlichen Lebens schützen und das Erlaubtsein der Abtreibung, der Euthanasie und der hemmungslosen gene­tischen Experimente zurückweisen, nur jene Gesetze, die die Würde der Ehe zwischen einem Mann und einer Frau respektieren, die sich an einer korrekten Laizität des Staates inspirieren – einer Laizität, die immer den Schutz der Religi­onsfreiheit einschließt –, und die Subsidiarität und die Solida­rität auf nationaler und internationaler Ebene verfolgen. An­dernfalls würde es damit enden, dass das eintritt, was Johan­nes von Salisbury als die ‚Tyrannei des Fürsten’ bezeichnet, oder was wir ‚die Diktatur des Relativismus’ nennen würden: ein Relativismus, der, wie ich vor einigen Jahren in Erinnerung gerufen habe, ‚nichts als endgültig anerkennt und als letztes Maß nur das eigene Ich und seine Gelüste gelten lässt’ (18.4.2005)…“

Generalaudienz, 16.12.2009

Erneuerung der Kirche durch Heilige

„Ein Blick in die Geschichte der Kirche zeigt uns, dass Kirche immer wieder der Reform bedarf, weil das Schwergewicht der Gewohnheiten des Menschen sie immer nach unten zieht, aber dass in ihr auch immer wieder Kräfte der Reform aufbrechen, dass eine Kreativität zum Guten hin immer wieder neu da ist und dass es die Heiligen sind, die diese Kräfte der Reform in sich tragen. Im 13. Jahrhundert waren es die Bettelorden, vor allem die Minderbrüder des hl. Franz von Assisi und der Predigerorden des hl. Dominikus, die eine dauerhafte und tiefgehende kirchliche Erneuerung brachten. Damals war gegen die Immobilität der großen monastischen Orden und der Hierarchie ein Aufbegehren in der Kirche leben­dig, das nach der Einfachheit des Evangeliums verlangte – nach der Armut – und sich in Gegensatz zu Glanz und Größe der offiziellen Kirche setzte: Armutsbewegungen, die aber dann sogleich auch in Häresie verfielen, die Materie in einem falschen asketischen Streben ablehnten, als etwas Böses betrachteten, die schließlich davon ausgingen, dass es nicht nur GOTT, sondern ein böses Prinzip gibt, weil in der Welt so viel Böses ist, das sie in der Materie verankert sahen und so mit dem guten Impuls zur Einfachheit, zur Armut, zur Strenge des Glaubens und des Lebens zerstörerisch wirk­ten, weil sie die Größe GOTTES verminderten und die Schöpfung nicht mehr liebten. In dieser Situation sind Ge­stalten wie Franz und Dominikus aufgestanden, die auch den Impuls der Armut, der Einfachheit, der Radikalität des Evange­liums in sich trugen, aber ihn in der Kirche und mit der Kirche als den wahren Ort des Evangeliums lebten und so in ihr Erneuerung schufen, die dann auch Europa erneuern und umgestalten konnte…

In alledem haben sie auch uns etwas zu sagen: Erneuerung der Gesellschaft kommt aus einer tiefen Begegnung mit dem Evangelium, aus der Radikalität des Lebens mit dem Evange­lium, das dann sich in seiner Größe neu öffnet. Heiligkeit ist radikal gelebtes Evangelium, und wir müssen heute wieder den Mut haben, dies zu versuchen…“

Generalaudienz, 13.1.2010

Die Heiligkeit als höchstes Ziel des GÖTTlichen Heilsplans

„Der besondere Anlass, der euch um den Nachfolger Petri versammelt sieht, ist die Feier des 40jährigen Gründungsjubi­läums der Kongregation für die Selig- und Heiligsprechungs­prozesse, die dem Verfahren der Entscheidungsfindung – um das sich die Kirche von Anfang an zur Anerkennung der Heilig­keit so vieler ihrer Kinder bemüht hat – eine geordnetere und zeitgemäßere Form verliehen hat. Die Errichtung eures Dikasteriums ist durch die Interventionen meiner Vorgänger, vor allem Sixtus’ V., Urbans VIII. und Benedikts XIV. vorbereitet und 1969 durch den Diener GOTTES Paul VI. verwirklicht worden. Dank dessen hat sich eine Reihe von Erfahrungen, wissenschaftlichen Beiträgen und Verfahrensnormen zu einer intelligenten und ausgewogenen Synthese entwickelt und hat zur Errichtung eines neuen Dikasteriums geführt…

Wenn die Kirche einen Heiligen verehrt, dann verkündet sie die Wirksamkeit des Evangeliums und entdeckt mit Freude, dass die Gegenwart CHRISTI in der Welt, die im Glauben angenommen und verehrt wird, in der Lage ist, das Leben des Menschen zu verwandeln und Früchte des Heils für die ganze Menschheit hervorzubringen. Zudem stellt jede Selig- und Heiligsprechung für die Christen eine starke Ermutigung dar, intensiv und begeistert die Nachfolge CHRISTI zu leben und zur Fülle des christlichen Lebens und zur vollkommenen Liebe voranzuschreiten (Vgl. Lumen gen­tium, 40)…

Die Heiligen, Zeichen jener radikalen Neuheit, die der SOHN GOTTES durch Seine Menschwerdung, Seinen Tod und Seine Auferstehung in die menschliche Natur eingepflanzt hat, sowie anerkannte Zeugen des Glaubens, stehen nicht für die Vergangenheit, sondern sie bilden die Gegenwart und die Zukunft der Kirche und der Gesellschaft. Sie haben in Fülle jene caritas in veritate verwirklicht, die der höchste Wert des christlichen Lebens ist, und sind wie die Seiten eines Prismas, auf dem sich in verschiedenen Schattierungen das eine Licht, CHRISTUS, widerspiegelt. Das Leben dieser außergewöhn­lichen Glaubensgestalten, die aus allen Teilen der Welt kom­men, weist zwei wichtige Konstanten auf, die ich hervorheben möchte.

Vor allem ist ihre Beziehung zum HERRN, auch wenn sie traditionelle Wege beschreitet, niemals lahm und eintönig, sondern sie kommt immer auf echte, lebendige und besondere Weise zum Ausdruck und geht aus einem intensiven und be­geisterten Dialog mit dem HERRN hervor, der auch die äuße­ren Formen aufwertet und bereichert. Zudem tritt im Leben die­ser unserer Brüder und Schwestern die ständige Suche nach der dem Evangelium entsprechenden Vollkommenheit, die Ablehnung der Mittelmäßigkeit und das Streben nach einer völligen Zugehörigkeit zu CHRISTUS hervor…

Die wichtigsten Abschnitte der Anerkennung der Heiligkeit von Seiten der Kirche, also die Selig- und Heiligsprechung, sind untereinander durch ein Band großer Folgerichtigkeit verknüpft. Zu ihnen kommen als unerlässliche Vorbereitungsphase die Er­klärung des heroischen Tugendgrads oder des Martyriums eines Dieners GOTTES sowie die Feststellung eines unge­wöhnlichen Geschenks, des Wunders, hinzu, das der HERR auf die Fürsprache eines seiner treuen Diener gewährt.

Welche pädagogische Weisheit zeigt sich doch in diesem Verfahren! In einem ersten Moment ist das Volk GOTTES ein­geladen, auf jene Brüder und Schwestern zu blicken, die nach einer ersten sorgfältigen Unterscheidung als Vorbilder christ­lichen Lebens vorgeschlagen werden; dann wird es dazu auf­gefordert, sich in einem Kult der Verehrung und der Anrufung an sie zu richten, der auf den Bereich der Ortskirchen oder der Orden begrenzt ist; schließlich wird es dazu aufgerufen, mit der gesamten Gemeinschaft der Gläubigen aufgrund der Gewissheit zu jubeln, dass dank der feierlichen päpstlichen Proklamierung eines seiner Kinder zur Herrlichkeit GOTTES gelangt ist, wo es an der ewigen Fürsprache CHRISTI zu­gunsten Seiner Brüder und Schwestern teilhat (vgl. Hebr 7,25). Auf diesem Weg empfängt die Kirche mit Freude und Er­staunen die Wunder, die GOTT ihr in Seiner unendlichen Güte unentgeltlich schenkt, um die Verkündigung des Evange­liums zu bekräftigen (vgl. Mk 16,20). Sie empfängt auch das Zeugnis der Märtyrer als klarste und eindringlichste Form der Gleich­gestaltung mit CHRISTUS. Dieses allmähliche Offenbarwer­den der Heiligkeit in den Gläubigen entspricht dem von GOTT gewählten Stil, sich den Menschen zu zeigen, und ist gleichzeitig Teil des Weges, auf dem das Volk GOTTES im Glauben und in der Erkenntnis der Wahrheit wächst…

Das Zeugnis der Heiligen stellt tatsächlich immer neue Aspekte der Botschaft des Evangeliums heraus und macht diese erkennbar… (Es) entsteht aus dem Verfahren für die Anerkennung der Heiligkeit ein spiritueller und pastoraler Reichtum, der die gesamte christliche Gemeinschaft einbe­zieht. Die Heiligkeit, also die Verwandlung der Menschen und der menschlichen Realität nach dem Bild des auferstandenen CHRISTUS, stellt das höchste Ziel des GÖTTlichen Heils­plans dar, wie der Apostel Paulus in Erinnerung ruft: ‚Das ist es, was GOTT will: eure Heiligung’ (1 Thess 4,3)…“

Audienz für die Mitarbeiter der Heiligsprechungskongregation, 19.12.2009

Hl. Johannes Bosco

„Wenn wir an die Heiligen denken, so bemerken wir die Ver­schiedenheit ihrer geistlichen Gaben und auch ihrer mensch­lichen Charakterzüge. Doch das Leben eines jeden von ihnen ist ein Hymnus auf die Liebe, ein lebendiger Lobgesang der Liebe GOTTES! Heute, am 31. Januar, gedenken wir insbesondere des hl. Johannes Bosco, des Gründers der Salesianischen Familie und Schutzpatrons der Jugend. In diesem Priester-Jahr möchte ich um seine Fürsprache bitten, damit die Priester stets Erzieher und Väter der Jugend seien; und dass viele Jugendliche durch die Erfahrung dieser seel­sorglichen Liebe die Berufung annehmen, ihr Leben für CHRISTUS und das Evangelium zu geben…“

Angelus-Ansprache, 31.1.2010

Hl. Franziskus

Die Heiligen sind die besten Interpreten der Bibel; dadurch, dass sie das Wort GOTTES in ihrem Leben Fleisch werden lassen, machen sie es mehr denn je anziehender, so dass es wirklich zu uns spricht. Das Zeugnis des hl. Franziskus, der die Armut geliebt hat, um CHRISTUS mit völliger Hingabe und Freiheit zu folgen, ist auch für uns eine Aufforderung, die innere Armut zu pflegen, um im Vertrauen zu GOTT zu wach­sen, indem wir damit auch einen nüchternen Lebensstil und einen Abstand von den materiellen Gütern verbinden. In Fran­ziskus kam die Liebe zu CHRISTUS in besonderer Weise in der Anbetung des Allerheiligsten Sakraments der Eucha­ristie zum Ausdruck. In den Franziskanischen Schriften liest man bewegende Worte wie diese: ‚Der ganze Mensch erschauere, die ganze Welt erbebe, und der Himmel juble, wenn auf dem Altar in der Hand des Priesters CHRISTUS ist, der SOHN des lebendigen GOTTES. O wunderbare Hoheit und staunenswerte Herablassung! O demütige Erhabenheit, dass der Herr des Alls, GOTT und GOTTES SOHN, sich so erniedrigt, dass Er sich unter der anspruchslosen Gestalt des Brotes verbirgt!’ (Brief an den gesamten Orden). In diesem Priesterjahr erinnere ich auch gern an eine Empfehlung, die Franziskus an die Priester richtete: ‚Sooft sie die Messe feiern wollen, sollen sie, selber rein und in reiner Gesinnung, mit Ehr­furcht und in heiliger und reiner Absicht das wahre Opfer des heiligsten Leibes und Blutes unseres HERRN JESUS CHRISTUS darbringen.’ Franziskus zeigte immer eine große Ergebenheit gegenüber den Priestern und ermahnte dazu, sie immer zu respektieren, auch in dem Fall, dass sie persönlich wenig würdig wären. Er führte als Begründung für diese tiefe Achtung die Tatsache an, dass sie das Geschenk emp­fangen haben, die Gaben der Eucharistie zu konsekrieren. Liebe Brüder im Priesteramt, vergessen wir nie diese Lehre: Die Heiligkeit der Eucharistie fordert von uns, rein zu sein, in konsequenter Übereinstimmung mit dem Geheimnis zu leben, das wir feiern…“

Generalaudienz, 27.1.2010

Hl. Antonius von Padua: das Kreuz lehrt die Würde des Menschen

„Nur eine Seele, die betet, kann im geistlichen Leben Fort ­schritte machen: das ist der bevorzugte Gegenstand der Ver ­kündigung des hl. Antonius. Er kennt die Mängel der mensch ­lichen Natur gut, unsere Neigung, in die Sünde zu verfallen, weshalb er ständig dazu ermahnt, die Neigung zu Hab­sucht, Stolz, Unreinheit zu bekämpfen und dagegen die Tugenden der Armut und der Hochherzigkeit, der Demut und des Gehorsams, der Keuschheit und Reinheit zu üben… Antonius stellt in der Schule des Denkens des Franziskus immer CHRISTUS in den Mittelpunkt des Lebens und Denkens, des Handelns und der Predigt. Das ist ein weiterer typischer Zug der franziskanischen Theologie: der CHRISTOzentrismus. Gern betrachtet diese die Geheimnisse der Menschheit JESU, des HERRN, besonders das Geheimnis der Geburt des HERRN, jenes GOTTES, der Kind geworden ist und sich in unsere Hände begeben hat: es ist ein Geheimnis, das Gefühle der Liebe und Dankbarkeit gegenüber der GÖTTlichen Güte weckt. Die Geburt des HERRN, jener zentrale Aspekt der Liebe CHRISTI zu den Menschen, aber auch der Blick auf den Gekreuzigten inspiriert Antonius zu Gedanken der Dankbarkeit gegenüber GOTT und der Hoch­schätzung der Würde der menschlichen Person, so dass alle, Gläubige und Nichtgläubige, im Gekreuzigten und in Seinem Bilde einen Sinn finden können, der das Leben bereichert. Der hl. Antonius schreibt: „CHRISTUS, der dein Leben ist, hängt hier vor dir, damit du auf das Kreuz wie in einen Spiegel schaust. Dort wirst du erkennen können, wie tödlich deine Wunden waren, die keine Arznei heilen kann, außer jene des Blutes des GOTTESSOHNES. Wenn du gut hinschaust, wirst du dir bewusst werden können, wie groß deine Menschenwürde und dein Wert sind… An keinem anderen Ort kann sich der Mensch besser dessen bewusst werden, wie viel er wert ist, als wenn er sich im Spiegel des Kreuzes betrachtet’ (Sermones Dominicales et Festivi III).

Durch die Betrachtung dieser Worte können wir besser die Bedeutung des Bildes des Gekreuzigten für unsere Kultur und für unseren Humanismus verstehen, der aus dem christlichen Glauben hervorgegangen ist. Gerade durch den Blick auf den Gekreuzigten sehen wir – wie der hl. Antonius sagt –, wie groß die Würde und der Wert des Menschen sind. Nirgendwo sonst kann man erkennen, welchen Wert der Mensch hat, da GOTT uns eine so große Bedeutung bei­misst und uns als so wichtig ansieht, dass wir für Ihn Seines Leidens würdig sind; so erscheint die ganze menschliche Wür­de im Spiegel des Gekreuzigten, und der auf Ihn gerichtete Blick ist stets Quelle für die Anerkennung der Menschen­würde…“

Generalaudienz,10.2.2010

 

 

 

5. Leiden und Sterben

 

 

Der geistliche Nutzen von Prüfungen

„Liebe Brüder und Schwestern, wir wissen es sehr gut und erfahren es selbst auf unserem Weg: in diesem Leben fehlt es nicht an Schwierigkeiten und Problemen, es gibt Situationen des Leids und des Schmerzes, Augenblicke, die schwer zu verstehen und anzunehmen sind. Alles jedoch erhält Wert und Bedeutung, wenn es unter der Perspektive der Ewig­keit gesehen wird. Denn jede Prüfung, die mit ausdauernder Geduld angenommen und für das Reich GOTTES aufgeopfert wird, ist schon hier auf der Erde von geistlichem Nutzen und vor allem für das zukünftige Leben im Himmel. Wir sind nur vorübergehend auf dieser Welt und werden wie Gold im Schmelzofen erprobt, sagt uns die Hl. Schrift (vgl. Weish 3,6). In geheimnisvoller Weise in das Leiden JESU mit hinein­genommen, können wir aus unserem Leben ein GOTT wohlgefälliges Opfer machen, ein freiwilliges Opfer der Liebe

Wenn wir im Guten ausharren, wird unser Glaube, gereinigt durch viele Prüfungen, eines Tages in vollem Glanz erstrahlen und uns zu Lob, Herrlichkeit und Ehre gereichen bei der Offen­barung JESU CHRISTI in Herrlichkeit…“

Predigt bei der hl. Messe zum Gedenken an die im vergange­nen Jahr verstorbenen Kardinäle und Bischöfe, 5.11.2009

„Im gegenwärtigen Priester-Jahr richten sich meine Gedanken besonders an euch, liebe Priester, als ‚Diener der Kranken’, Zeichen und Werkzeug des Mitleidens CHRISTI, das jeden Menschen, der vom Leiden gezeichnet ist, erreichen soll. Ich fordere euch, liebe Priester, auf, nicht damit zu sparen, ihnen Sorge und Trost zu spenden. Die an der Seite der Kranken verbrachte Zeit erweist sich als gnadenreich für alle ande­ren Dimensionen der Seelsorge. Schließlich wende ich mich an euch, liebe Kranke, und bitte euch, zu beten und eure Leiden für die Priester aufzuopfern, damit sie ihrer Berufung treu bleiben können und ihr Dienst zum Wohl der ganzen Kir­che reich an geistlichen Früchten sei.“

Botschaft zum XVIII. Welttag der Kranken am 11. Februar (22.11.2 009)

„Wenn das Leiden und die Entmutigung stärker werden, denkt daran, dass CHRISTUS euch an Seinem Kreuz teilhaben lässt, weil Er durch euch all jenen ein Wort der Liebe sagen will, die vom Weg des Lebens abgekommen sind und, in ihren leeren Egoismus verschlossen, in der Sünde und GOTTferne leben. Euer Gesundheitszustand ist in der Tat Zeugnis dafür, dass das wahre Leben nicht hier ist, sondern bei GOTT, wo jeder von uns seine Freude finden wird, wenn er demütig dem wahrhaftigsten Menschen nachgegangen ist: JESUS von Nazareth, dem Meister und HERRN… Der HERR kommt, Er ist hier und steht uns bei. Diese christliche Gewiss­heit hilft uns, auch die Schwierigkeiten des Lebens als eine Art und Weise zu verstehen, in der Er uns entgegenkommt und für jeden Einzelnen der ‚nahe GOTT’ ist, der befreit und erlöst…“

Ansprache beim Besuch im römischen Hospiz „Fondazione Roma“, 13.12.2009

 

 

 

 

 

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