FMG-INFORMATION 98, November 2009

 

 

1. Glaube und Kirche

 

 

Mündiger Glaube – neues Denken: Wollen was GOTT will

„Neue Menschen müssen wir werden, umgestaltet in eine neue Weise der Existenz hinein. Die Welt sucht immer nach dem Neuen, weil sie immer mit Recht unzufrieden ist mit dem Be­stehenden. Paulus sagt uns: Die Welt kann nicht erneuert werden ohne neue Menschen… Nur wenn wir selbst neu werden, wird die Welt neu. Das heißt dann auch, mit der An­passung an das Bestehende ist es nicht getan. Der Apostel fordert zum Nonkonformismus auf. Sich nicht dem Schema des gegenwärtigen Zeitalters unterwerfen… Neu werden wir dann, wenn wir uns von dem neuen Menschen JESUS CHRISTUS ergreifen und formen lassen. Er ist der neue Mensch. In Ihm ist das neue Menschsein Wirklichkeit gewor­den, und wir können wirklich neu werden, wenn wir uns Ihm in die Hände geben, uns von Ihm formen lassen.

Paulus verdeutlicht diesen Prozess der Umschmelzung noch, indem er sagt: Neu werden wir, indem wir unsere Denkweise umformen. Was hier mit ‚Denken’ übersetzt ist, heißt im Grie­chischen Nous. Es ist ein vielschichtiges Wort. Es kann mit Geist, Gesinnung, Vernunft oder eben auch mit Denken über­setzt werden. Unsere Vernunft also muss neu werden. Das überrascht uns. Wir hätten vielleicht eher irgendwelche Hand­lungsanweisungen erwartet: was wir anders machen müssen. Aber nein – die Erneuerung muss bis auf den Grund gehen. Unsere Weise, die Welt zu sehen, die Wirklichkeit zu verste­hen. Unser ganzes Denken muss von seinem Grund her an­ders werden. Das Denken des alten Menschen, unser Durch­schnittsdenken, richtet sich im Allgemeinen auf Besitz, Wohl­stand, Einfluss, Erfolg, Ansehen und so fort. Aber so ist unser Denken schon zu kurz. So bleibt letztlich das eigene Ich Mittel­punkt der Welt. Wir müssen gründlicher denken lernen. Was das bedeutet, sagt Paulus im zweiten Teil des Satzes [Röm 12,2]: den Willen GOTTES verstehen lernen, so dass er unseren eigenen Willen prägt. Dass wir selber wollen, was GOTT will, weil wir einsehen, dass das von GOTT Gewollte das Schöne und Gute ist. Es kommt also auf eine Wende un­serer geistigen Grundorientierung an. GOTT muss in den Hori­zont unseres Denkens hereintreten: was Er will und wie Er die Welt und mich gedacht hat. Wir müssen mit JESUS CHRISTUS mit-denken und mit-wollen lernen. Dann sind wir neue Menschen, in denen eine neue Welt heraufzieht.

Den gleichen Gedanken der notwendigen Erneuerung unseres Menschseins hat Paulus in zwei Stellen des Epheser-Briefes weiter beleuchtet, über die wir daher noch kurz nachdenken wollen. Im 4. Kapitel sagt uns der Apostel, dass wir zum Er­wachsenenalter mit CHRISTUS kommen sollen, zu einem reifen Glauben. Dass wir nicht mehr ‚unmündige Kinder’ sein dürfen, ein Spiel der Wellen bleiben, ‚hin und her getrieben, je wie der Wind der Meinungen weht’ (vgl. 4,13f). Paulus wünscht sich von den Christen einen mündigen Glauben, einen erwachsenen Glauben. Der ‚mündige Glaube’ ist in den letzten Jahrzehnten zu einem verbreiteten Schlagwort gewor­den. Aber man versteht häufig darunter eine Haltung, die sich nicht mehr von der Kirche und ihren Hirten belehren lässt, sondern selbst aussucht, was man glauben und nicht glauben will – einen selbstgemachten Glauben also. Und man versteht darunter den ‚Mut’, gegen das kirchliche Lehramt zu sprechen. Aber Mut gehört dazu in Wirklichkeit nicht, weil man dabei immer des öffentlichen Beifalls sicher sein kann. Mut gehört viel eher dazu, zum Glauben der Kir­che zu stehen, auch wenn er dem ‚Schema’ dieser Weltzeit widerspricht.

Diesen Nonkonformismus des Glaubens nennt Paulus einen erwachsenen Glauben. Es ist dies der Glaube, den er sich wünscht. Das Mitlaufen mit den Winden und Strömungen der Zeit nennt er hingegen kindisch. So gehört es zum Beispiel zu einem mündigen Glauben, für die Unantastbarkeit des menschlichen Lebens vom ersten Augenblick an einzuste­hen und damit dem Prinzip der Gewalt von Grund auf, gerade auch in der Verteidigung der wehrlosesten menschlichen Ge­schöpfe entgegenzutreten. So gehört es zum erwachsenen Glauben, die lebenslange Ehe zwischen einem Mann und einer Frau als die Ordnung des Schöpfers anzuerkennen, die CHRISTUS von neuem wiederhergestellt hat. Der mün­dige Glaube lässt sich nicht von Strömungen umwerfen. Er widersteht den jeweils gerade wehenden Winden. Er weiß, dass diese Winde nicht der HL. GEIST sind; dass der GEIST GOTTES sich in der Gemeinschaft mit JESUS CHRISTUS ausspricht und zeigt.

Aber auch hier bleibt Paulus nicht bei der Verneinung stehen, sondern führt uns zum großen Ja. Den reifen, wirklich mündi­gen Glauben beschreibt er positiv mit dem Wort: sich ‚von der Liebe geleitet, an die Wahrheit halten’ (vgl. Eph 4,15). Das neue Denken, das uns der Glaube schenkt, richtet sich zualler­erst auf die Wahrheit. Die Macht des Bösen ist die Lüge. Die Macht des Glaubens, die Macht GOTTES ist die Wahrheit. Die Wahrheit über die Welt und über uns selbst wird sichtbar, wenn wir auf GOTT hinschauen. Und GOTT wird uns sichtbar im Antlitz JESU CHRISTI. Im Hinschauen auf CHRISTUS er­kennen wir ein Weiteres: Wahrheit und Liebe sind untrennbar. In GOTT ist beides unteilbar eins: Gerade dies ist das Wesen GOTTES. Deshalb gehören für den Christen Wahrheit und Liebe zueinander. Die Liebe ist der Beweis für die Wahrheit. Daran werden wir immer wieder gemessen werden müssen, dass Wahrheit Liebe wird und Liebe uns wahr macht…

Die Innerlichkeit muss stärker werden – die Wahrnehmungsfä­higkeit des Herzens; die Fähigkeit, Welt und Menschen von innen her, mit dem Herzen zu sehen und zu verstehen. Wir brauchen einen vom Herzen erleuchteten Verstand, um das Tun der Wahrheit in Liebe zu erlernen. Das gibt es nicht ohne inneren Umgang mit GOTT, ohne das Leben des Gebets…“

Predigt in der Vesper zum Abschluss des Paulusjahres
in St. Paul vor den Mauern, 28.6.2009

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„Hirte und Bischof der Seelen“

„Was sagt uns… der hl. Petrus über den Auftrag des Priesters? Zunächst – er versteht den priesterlichen Dienst ganz von CHRISTUS her. Er nennt CHRISTUS den ‚Hirten und Bischof der Seelen’ (vgl. 1 Petr 2,25). Das ist die wörtliche Überset­zung des griechischen Wortes epíscopos. Etwas später wird CHRISTUS als ‚oberster Hirte’ bezeichnet: archipoimén (5,4). Es wundert uns, dass Petrus CHRISTUS selbst als Bischof – Bischof der Seelen – bezeichnet. Was will er damit sagen? In dem griechischen Wort ‚epíscopos’ steckt das Verbum ‚sehen’; so hat man es mit ‚Aufseher’ übersetzt. Aber gemeint ist natür­lich nicht eine äußerliche Beaufsichtigung, wie sie vielleicht einem Gefängniswärter zukommt. Gemeint ist vielmehr ein Sehen aus der Höhe heraus – ein Sehen von der Höhe GOTTES her. Ein Sehen von GOTT her ist ein Sehen der Liebe, das dem anderen dienen, ihm helfen will, wirklich er selbst zu werden. CHRISTUS ist der ‚Bischof der Seelen’, sagt uns Petrus. Das bedeutet: Er sieht uns von GOTT her. Von GOTT her sehend überblickt man das Ganze, die Gefahren wie die Hoffnungen und Möglichkeiten. Von GOTT her sieht man das Eigentliche, den inneren Menschen. Wenn CHRISTUS der Bischof der Seelen ist, geht es darum, dass die Seele nicht verkümmert im Menschen, dass der Mensch sein Eigentliches, die Fähigkeit zur Wahrheit und zur Liebe nicht verliere. Dass er GOTT kennenlerne. Dass er sich nicht in Sackgassen verläuft. Dass er sich nicht in der Isolation verliert, sondern offen bleibt für das Ganze. JESUS, der ‚Bischof der Seelen’, ist das Urbild alles bischöflichen und priester­lichen Dienstes. Bischof-sein, Priester-sein bedeutet von da aus: den Standort CHRISTI annehmen. Von Seiner Höhe her denken, sehen und handeln. Von Ihm her für die Menschen da sein, damit sie das Leben finden.

So berührt sich das Wort ‚Bischof’ ganz eng mit der Bezeich­nung ‚Hirte’, ja, es wird austauschbar damit. Aufgabe des Hirten ist das Weiden, das Hüten und das Führen der Herde zu den richtigen Weideorten. Weiden bedeutet: dafür sorgen, dass die Schafe die rechte Nahrung finden, dass ihr Hunger und ihr Durst gestillt werden. Ohne Bild sagt das: Das Wort GOTTES ist die Nahrung, die der Mensch braucht. Das Wort GOTTES immer neu gegenwärtig zu machen und so den Menschen Nahrung zu geben, ist Auftrag des rechten Hir­ten. Und er muss auch den Feinden, den Wölfen zu wehren wissen. Er muss vorausgehen, den Weg zeigen, die Einheit der Herde erhalten. Petrus stellt in seiner Anrede an die Pres­byter noch etwas sehr Wichtiges heraus. Das Reden tut es nicht. Die Hirten müssen ‚Vorbilder für die Herde’ (5,3) werden. Das Wort GOTTES wird aus der Vergangenheit dann in die Gegenwart geholt, wenn es gelebt wird. Es ist wunderbar zu sehen, wie in den Heiligen das Wort GOTTES ein Wort an unsere Zeit wird.“

Predigt am Hochfest Peter und Paul, 29.6.2009

Der Priester hat eine unverzichtbare Sendung

„Es ist wahr, dass die Einladung JESU, ‚in Seiner Liebe zu bleiben’ (vgl. Joh 15,9), jedem Getauften gilt, doch am Fest des Heiligsten Herzens JESU, dem Tag der Heiligung der Priester, erklingt diese Einladung für uns Priester noch eindringlicher, insbesondere an diesem Abend, dem feierlichen Beginn des Priester-Jahres, das ich anlässlich des 150. Jahrestages des Todes des hl. Pfarrers von Ars ausgerufen habe. Mir kommt sofort eine seiner schönen und bewegenden Aussagen in den Sinn, die in den Katechismus der Katholischen Kirche Eingang gefunden hat: ‚Das Priestertum ist die Liebe des Herzens JESU’ (Nr. 1589). Wie sollte man nicht bewegt daran erinnern, dass das Geschenk unseres priesterlichen Dienstes direkt dem Herzen JESU entstammt? Wir könnte man vergessen, dass wir Priester geweiht worden sind, um in Demut und maß­gebend dem allgemeinen Priestertum der Gläubigen zu die­nen? Wir haben eine für die Kirche und die Welt unverzicht­bare Sendung, die vollkommene Treue zu CHRISTUS und unablässige Einheit mit Ihm erfordert; das heißt dieses in Seiner Liebe Bleiben verlangt, dass wir ständig nach der Hei­ligkeit streben, nach diesem Bleiben in Ihm, wie es der hl. Jean-Marie Vianney getan hat…

Wie sollte in diesem Zusammenhang vergessen werden, dass nichts die Kirche, den Leib CHRISTI, so sehr leiden lässt wie die Sünden ihrer Hirten, vor allem jener, die sich in ‚Schafsdiebe’ verwandeln (Joh 10,1ff), entweder weil sie sie mit ihren privaten Lehren vom Weg abbringen, oder weil sie sie mit Schlingen der Sünde und des Todes fesseln? Auch für uns, liebe Priester, gilt die Mahnung zur Umkehr und zur Zuflucht zur GÖTTlichen Barmherzigkeit, und gleichermaßen müssen wir in Demut die tiefempfundene und unablässige Bitte an das Herz JESU richten, dass Er uns vor der schrecklichen Gefahr bewahre, jenen Schaden zuzufügen, die zu retten un­sere Pflicht ist…

Pflegen wir, liebe Brüder, dieses Angerührtsein, sowohl um unseren Dienst mit Großherzigkeit und Hingabe zu erfüllen, als auch um in der Seele eine wahre ‚GOTTESfurcht’ zu bewah­ren: die Furcht vor der Möglichkeit, den uns anvertrauten See­len durch unsere Nachlässigkeit oder Schuld so viel Gutes vorzuenthalten oder ihnen – GOTT bewahre uns – Schaden zuzufügen. Die Kirche braucht heilige Priester; Priester, die den Gläubigen helfen, die barmherzige Liebe des HERRN zu erfah­ren, und die deren überzeugte Zeugen sind…“

Predigt in der 2. Vesper am Herz-JESU-Fest, 19.6.2009

Der Schrei vergossenen Blutes

„Im Buch Genesis steht geschrieben, dass das Blut Abels, der von seinem Bruder Kain erschlagen worden war, vom Acker­boden zu GOTT schreit (vgl. 4,19). Und leider ist – heute wie gestern – dieser Schrei nicht verstummt, da weiterhin aufgrund von Gewalt, Ungerechtigkeit und Hass menschliches Blut fließt. Wann werden die Menschen lernen, dass das Leben unan­tastbar ist und allein GOTT gehört? Wann werden sie ver­stehen, dass wir alle Brüder sind? Auf den Schrei aufgrund des vergossenen Blutes, der sich aus so vielen Teilen der Erde erhebt, antwortet GOTT mit dem Blut Seines SOHNES, der das Leben für uns hingegeben hat. CHRISTUS hat nicht das Böse mit Bösem vergolten, sondern mit dem Guten, mit Seiner unendlichen Liebe. Das Blut CHRISTI ist Unterpfand der treuen Liebe GOTTES zur Menschheit. Den Blick fest auf die Wundmale des Gekreuzigten gerichtet, kann jeder Mensch auch im Zustand äußersten moralischen Elends sagen: GOTT hat mich nicht verlassen, Er liebt mich, Er hat Sein Leben für mich hingegeben; und so kann er wieder Hoffnung finden.“

Angelus-Ansprache, 5.7.2009

Gebet um Priesterberufe

„Angesichts so vieler Ungewissheiten und Ermüdungserscheinungen auch in der Ausübung des priesterlichen Dienstes ist die Wiedererlangung eines klaren und eindeutigen Urteils hin­sichtlich des absoluten Vorranges der GÖTTlichen Gnade notwendig, dies eingedenk dessen, was der hl. Thomas von Aquin schreibt: ‚Die kleinste Gabe der Gnade übertrifft das natürliche Gut des gesamten Universums’ (Summa Theolo­giae, I-II, q.113, a.9, ad 2). Die Sendung eines jeden einzelnen Priesters wird somit auch und vor allem vom Bewusstsein der sakramentalen Wirklichkeit seines ‚neuen Seins’ abhängen. Von der Gewissheit der eigenen Identität, die nicht künstlich konstruiert, sondern unentgeltlich und GÖTTlich geschenkt ist und angenommen wird, hängt die immer erneuerte Begeiste­rung des Priesters für die Mission ab…

Das Gebet ist der erste Einsatz, der wahre Weg zur Heili­gung der Priester und die Seele der echten ‚Berufungspas­toral’. Die geringe Zahl von Priesterweihen in einigen Ländern darf uns nicht mutlos werden lassen, sondern muss uns viel­mehr dazu drängen, die Räume der Stille und des Hörens des Wortes zu mehren, besser die geistliche Begleitung und das Sakrament der Beichte zu pflegen, damit die Stimme GOTTES, der nicht aufhört zu rufen und zu bestärken, gehört wird, und viele junge Menschen ihr bereitwillig folgen können. Wer betet, hat keine Angst; wer betet, ist nie allein; wer betet, wird gerettet werden. Vorbild eines Lebens, das zum Gebet wird, ist zweifellos der hl. Jean-Marie Vianney.“

Generalaudienz 1.7.1009

„Allmächtiger GOTT“

„In dieser kurzen Predigt möchte ich einige Worte über die Oration sagen, mit der die Vesper abschließt… Sie besteht aus zwei Teilen: einer Anrede – die Überschrift sozusagen – und dann das aus zwei Bitten zusammengesetzte Gebet… Das ‚Du’, mit dem wir sprechen, muss etwas genauer bestimmt werden, um mit größerer Kraft an das Herz GOTTES pochen zu können. Im italienischen Text lesen wir nur: ‚Barmherzi­ger VATER’. Der lateinische Originaltext ist etwas umfas­sender: Er lautet: ‚Allmächtiger, barmherziger GOTT’. In meiner letzten Enzyklika habe ich versucht, die Priorität GOTTES sowohl im persönlichen Leben als auch im Leben der Geschichte, der Gesellschaft, der Welt aufzuzeigen. Sicher ist die Beziehung zu GOTT eine tief persönliche Angelegenheit, und die menschliche Person ist ein Wesen in Beziehung. Wenn die grundlegende Beziehung – die Beziehung mit GOTT – nicht lebendig ist, nicht gelebt wird, können auch alle anderen Beziehungen nicht ihre rechte Form finden. Aber dies gilt auch für die Gesellschaft, für die Menschheit als solche. Wenn GOTT fehlt, wenn man von GOTT absieht, wenn GOTT abwesend ist, dann fehlt auch hier der Kompass, um das Ganze aller Beziehungen zu zeigen, um den Weg zu fin­den, die Richtung, wohin man gehen soll.

GOTT! Wir müssen die Wirklichkeit GOTTES von neuem in diese unsere Welt tragen, Ihn bekannt und gegenwärtig machen. Aber wie kann man GOTT kennenlernen? Bei den ‚Ad-limina’-Besuchen spreche ich jedesmal mit den Bischöfen – vor allem mit den afrikanischen Bischöfen, aber auch mit den Bischöfen aus Asien und Lateinamerika, wo es die traditionel­len Religionen noch gibt – über eben diese traditionellen Reli­gionen. In den Einzelheiten gibt es natürlich große Unter­schiede, aber es gibt auch gemeinsame Elemente. Alle wis­sen, dass es GOTT gibt, nur einen einziger GOTT. Sie wis­sen, dass Gott ein Wort im Singular ist, dass ‚die Götter’ nicht Gott sind. Es gibt GOTT, den einzigen GOTT. Aber zur glei­chen Zeit scheint dieser Gott abwesend zu sein, sehr weit weg. Er scheint in unser tägliches Leben nicht einzutreten, Er ver­birgt sich, wir kennen sein Antlitz nicht. Und so beschäftigt sich die Religion zum großen Teil mit Dingen, mit den näherliegen­den Mächten, den Geistern, den Ahnen, etc. Denn Gott selbst ist zu weit weg, und so muss man sich mit diesen näherliegen­den Mächten arrangieren. Die Evangelisierung besteht ge­rade in der Tatsache, dass der weit entfernte Gott näher kommt, dass GOTT nicht mehr weit weg ist, sondern nahe, dass dieser ‚Bekannte-Unbekannte’ sich jetzt wirklich zu erken­nen gibt, Sein Antlitz zeigt, sich offenbart: Der Schleier vor Seinem Antlitz verschwindet, und Er zeigt wirklich Sein Ange­sicht. Und deshalb, weil GOTT selbst jetzt nahe ist, kennen wir Ihn. Er zeigt uns Sein Antlitz, Er kommt in unsere Welt. Es ist nicht nötig, sich mit jenen anderen Mächten zu arrangieren, denn Er ist die wahre Macht, Er ist der Allmächtige.

Ich weiß nicht, warum man im italienischen Text das Wort ‚allmächtig’ weggelassen hat. Es ist allerdings wahr, dass wir uns von dieser Allmacht gleichsam etwas bedroht fühlen: Sie scheint unsere Freiheit einzuschränken, eine zu große Last zu sein. Aber wir müssen lernen, dass die Allmacht GOTTES keine willkürliche Macht ist, denn GOTT ist das Gute, Er ist die Wahrheit. Deshalb vermag GOTT alles, aber Er kann nicht gegen das Gute handeln, Er kann nicht gegen die Wahrheit handeln. Er kann nicht gegen die Liebe und Freiheit handeln, denn Er selbst ist das Gute, Er ist die Liebe und die wahre Freiheit. Und deshalb kann alles, was Er tut, nie im Gegen­satz stehen zur Wahrheit, zur Liebe und zur Freiheit. Wahr ist das Gegenteil. Er, GOTT, ist der Hüter unserer Freiheit, der Liebe, der Wahrheit. Dieses Auge, das auf uns blickt, ist kein böses Auge, das uns überwacht, sondern es ist die Ge­genwart einer Liebe, die uns niemals im Stich lässt und uns die Sicherheit gibt, dass das Gute Sein ist, Leben ist: dass es das Auge der Liebe ist, das uns Luft zum Leben gibt.

Allmächtiger und barmherziger GOTT. Eine römische Ora­tion, die an einen Text aus dem Buch der Weisheit anknüpft, lautet: ‚Du, o GOTT, zeigst Deine Allmacht in der Vergebung und in der Barmherzigkeit.’ Der Höhepunkt der Macht GOTTES ist die Barmherzigkeit, die Vergebung. Nach unseren heutigen weltlichen Begriffen von Macht denken wir an jemanden, der große Besitztümer hat, der in der Wirtschaft etwas zu sagen hat, über Kapital verfügt, um den Wirtschaftsmarkt zu beein­flussen. Wir denken an jemanden, der militärische Macht hat, der andere bedrohen kann. Die Frage Stalins: ‚Wie viel Divisio­nen hat der Papst?’ kennzeichnet immer noch die durch­schnittliche Vorstellung von Macht. Macht hat derjenige, der gefährlich werden kann, der bedrohen und zerstören kann, der viele Dinge der Welt in der Hand hat. Aber die Offen­barung sagt uns: ‚So ist es nicht’; die wahre Macht ist die Macht der Gnade, der Barmherzigkeit. In der Barmherzig­keit zeigt GOTT die wahre Macht.

Und so lautet der zweite Teil der Anrede: ‚Du hast die Welt erlöst durch das Leiden, durch das Leiden Deines SOHNES', GOTT hat gelitten und im SOHN leidet Er mit uns. Und das ist der äußerste Höhepunkt Seiner Macht, dass Er fähig ist, mit uns zu leiden. So zeigt Er die wahre GÖTTliche Macht: Er wollte mit uns und für uns leiden. In unserem Leiden sind wir nie allein. GOTT hat in Seinem SOHN zuerst gelitten, und Er ist uns nahe in unseren Leiden.

Dennoch bleibt die schwierige Frage, die ich jetzt nicht umfas­send behandeln kann: Warum war es nötig zu leiden, um die Welt zu retten? Es war nötig, weil es in der Welt einen Ozean des Bösen, der Ungerechtigkeit, des Hasses und der Gewalt gibt. Und die vielen Opfer des Hasses und der Ungerechtigkeit haben ein Recht darauf, dass Gerechtigkeit geschaffen wird. GOTT kann diesen Schrei der Leidenden nicht ignorieren, die von der Ungerechtigkeit unterdrückt werden. Vergeben heißt nicht ignorieren, sondern verwandeln, das heißt GOTT muss in diese Welt kommen und dem Ozean der Ungerech­tigkeit einen noch größeren Ozean des Guten und der Liebe entgegensetzen. Und das ist das Ereignis des Kreuzes: Von diesem Augenblick an gibt es gegen den Ozean des Bösen einen unendlichen Strom, der immer größer ist als alle Unge­rechtigkeiten der Welt, einen Strom der Güte, der Wahrheit, der Liebe. So vergibt GOTT, indem Er die Welt verwandelt und in unsere Welt kommt, damit es wirklich eine Kraft, einen Strom des Guten gibt, der größer ist als alles Böse, das je existieren kann.

Und so wird die Anrede an GOTT eine Anrede an uns: das heißt GOTT lädt uns ein, uns auf Seine Seite zu stellen, diesen Ozean des Bösen, des Hasses, der Gewalt, des Egoismus zu verlassen und uns mit dem Strom seiner Liebe zu identifizieren, in ihn einzutreten…“

Predigt bei der Vesper in der Kathedrale von Aosta, 24.7.2009

Die Selbst-Säkularisierung vieler kirchlicher Gemeinschaften

„In den Jahrzehnten nach dem 2. Vatikanischen Konzil haben manche die Öffnung zur Welt nicht als ein Erfordernis des missionarischen Eifers des Herzens CHRISTI interpretiert, sondern als einen Übergang zur Säkularisierung, wobei sie in ihr einige Werte von großer christlicher Substanz entdeckten, wie die Gleichheit, die Freiheit und die Solidarität, und sich bereit zeigten, Zugeständnisse zu machen und Bereiche der Zusammenarbeit zu entdecken. So haben einige kirchliche Verantwortliche in Antwort auf die Erwartungen der öffentlichen Meinung in ethische Debatten eingegriffen; sie haben es aber unterlassen, von bestimmten Grundwahrheiten des Glau­bens zu sprechen, wie der Sünde, der Gnade, dem theolo­galen Leben und den Letzten Dingen. Unbewusst ist man in die Selbst-Säkularisierung vieler kirchlicher Gemeinschaf­ten verfallen; in der Hoffnung, die Fernstehenden zufrieden­zustellen, haben sie diejenigen, die schon dazugehörten, ge­täuscht und enttäuscht weggehen sehen: Unsere Zeitgenos­sen wollen, wenn sie uns begegnen, das sehen, was sie sonst nirgendwo sehen können, nämlich die Freude und die Hoffnung, die aus der Tatsache erwachsen, dass wir beim auferstandenen HERRN sind. Gegenwärtig gibt es eine neue Generation, die in diesem säkularisierten kirchlichen Umfeld aufgewachsen ist und, statt Öffnung und Zustimmung zu ver­zeichnen, sehen muss, wie sich in der Gesellschaft immer mehr der Abgrund der Unterschiede und Gegensätze ge­genüber dem Lehramt der Kirche auftut, dies vor allem im Bereich der Ethik. In der Wüste der Abwesenheit GOTTES verspürt die neue Generation einen großen Durst nach Trans­zendenz. Es sind die jungen Männer dieser neuen Generation, die heute an die Tür des Seminars klopfen und dort Ausbilder finden müssen, die wahre GOTTESmänner sind, Priester, die sich voll und ganz der Ausbildung hingeben, die Zeugnis geben von der Selbsthingabe an die Kirche durch den Zölibat und ein strenges Leben nach dem Vorbild CHRISTI, des Guten Hirten…“

Ad-limina-Besuch der 1.Gruppe der Bischöfe Brasiliens, 7.9.09

Drei Eigenschaften des guten Dieners

„Die Bischofsweihe ist ein Gebetsereignis. Kein Mensch kann einen anderen zum Priester, zum Bischof machen. Der HERR selbst ist es, der durch das Wort des Gebets und die Geste der Handauflegung diesen Menschen ganz in Seinen Dienst nimmt, ihn in Sein eigenes Priestertum hineinzieht. Er selbst weiht die Erwählten. Er selbst, der einzige Hohepriester, der das eine Opfer für uns alle dargebracht hat, gibt ihm Anteil an Seinem Priestertum, damit Sein Wort und Werk allen Zeiten gegenwärtig werde…

JESUS selbst hat in den letzten Wochen Seines Lebens in Jerusalem in zwei Gleichnissen von den Dienern gesprochen, denen der HERR Seine Sache in dieser Weltenzeit anvertraut und dabei drei Eigenschaften des rechten Dienens heraus­gestellt, in denen sich auch das Bild des priesterlichen Diens­tes konkretisiert…

Die erste Eigenschaft, die der HERR vom Knecht verlangt, ist die Treue. Ihm ist ein großes Gut anvertraut, das ihm nicht gehört. Die Kirche ist nicht unsere Kirche, sondern Seine Kirche, die Kirche GOTTES. Der Knecht muss Rechenschaft ablegen, wie er mit dem Gut umgegangen ist, das ihm anver­traut wurde. Wir binden die Menschen nicht an uns; wir suchen nicht Macht, Einfluss, Ansehen für uns selber. Wir führen Men­schen zu JESUS CHRISTUS und so zum lebendigen GOTT. Damit führen wir sie in die Wahrheit und in die Freiheit, die aus der Wahrheit kommt. Die Treue ist Selbstlosigkeit und gerade so befreiend für den Diener selbst und für die ihm Anvertrau­ten. Wir wissen, wie die Dinge in der weltlichen Gesellschaft und nicht ganz selten auch in der Kirche darunter leiden, dass vielen, denen Verantwortung übertragen ist, für sich selbst statt für das Ganze, für das Gemeinwohl arbeiten. Der HERR zeichnet mit wenigen Strichen ein Bild des schlechten Knechtes, der Gelage hält und die Untergebenen schlägt und so das Wesen seines Auftrags veruntreut. Im Grie­chischen fällt das Wort Treue mit dem Wort Glauben zusam­men. Die Treue des Knechts JESU CHRISTI besteht gerade auch darin, dass er nicht versucht, den Glauben nach den Moden der Zeit zurechtzuschneiden. Nur CHRISTUS hat Worte ewigen Lebens, und die müssen wir zu den Menschen bringen. Sie sind das kostbare Gut, das uns anvertraut ist. Solche Treue hat nichts Steriles und nichts Statisches an sich. Sie ist schöpferisch. Der HERR tadelt den Knecht, der das übergebene Gut vergraben hatte, damit ihm nichts ge­schehe. Mit dieser scheinbaren Treue hat er in Wirklichkeit das Gut des HERRN weggelegt, um nur noch seine eigenen Dinge betreiben zu können. Treue ist nicht Angst. Sie ist inspiriert von der Liebe und ihrer Dynamik. Der HERR lobt den Knecht, der Sein Gut gemehrt hat. Der Glaube will weitergegeben wer­den: Er ist uns nicht nur für uns selbst, für unser eigenes See­lenheil, sondern für die anderen übergeben, für diese Welt und unsere Zeit. Wir müssen ihn hineinstellen in diese Welt, damit er lebendige Kraft in ihr werde. Damit in ihr GOTTES Gegen­wart wachse.

Die zweite Eigenschaft, die JESUS vom Knecht verlangt, ist die Klugheit. Hier gilt es, gleich zu Beginn einem Missver­ständnis zu wehren. Die Klugheit ist etwas anderes als Schlau­heit. Klugheit ist nach der griechischen philosophischen Tradi­tion die erste Kardinaltugend. Sie bedeutet den Primat der Wahrheit, die durch die ‚Klugheit’ Maßstab unseres Han­delns wird. Klugheit verlangt die demütige, zuchtvolle und wache Vernunft, die sich nicht von Vorurteilen blenden lässt; nicht nach Wünschen und Leidenschaften urteilt, sondern die Wahrheit sucht, auch die unbequeme Wahrheit… GOTT hat uns durch JESUS CHRISTUS das Fenster der Wahrheit geöff­net, das uns von unseren eigenen Kräften her oft schmal und nur teilweise durchsichtig bleibt. Er zeigt uns in der Hl. Schrift, im Glauben der Kirche die wesentliche Wahrheit über den Menschen, die unserem Handeln die rechte Richtung gibt. So besteht die erste Kardinaltugend des priesterlichen Dieners JESU CHRISTI darin, sich von der Wahrheit formen zu lassen, die CHRISTUS uns zeigt. Gerade so werden wir auch wirk­lich vernünftige Menschen, die vom Ganzen her urteilen und nicht von zufälligen Ausschnitten her. Nicht durch das kleine Fenster unserer eigenen Schlauheit lassen wir uns leiten, sondern durch das große Fenster auf die ganze Wahrheit hin, das CHRISTUS uns aufgetan hat, schauen wir die Welt und die Menschen an und erkennen so, worum es im Leben wirklich geht.

Die dritte Eigenschaft… ist die Güte: Du guter und getreuer Knecht…, geh ein in die Freude deines HERRN (Mt 25,21.23). Was mit dieser Eigenschaft ‚Güte’ gemeint ist, kann uns aufge­hen, wenn wir an die Begegnung JESU mit dem reichen Jüng­ling denken. Dieser Mann hatte JESUS mit dem Titel ‚guter Meister’ angesprochen und erhielt darauf die erstaunliche Ant­wort: ‚Was nennst du mich gut? Niemand ist gut als GOTT allein’ (Mk 10,17f). Gut im Vollsinn des Wortes ist nur GOTT. Er ist das Gute, der Gute schlechthin, die Güte selbst. Gutsein beruht daher bei einem Geschöpf, beim Menschen notwen­dig auf einer tiefen inneren Zugewandtheit zu GOTT. Güte wächst durch ein inneres Einswerden mit Ihm. Und in der Tat: Bei wem anders könnte man die wahre Güte lernen als bei dem, der uns bis ans Ende, bis zum Äußersten geliebt hat (Joh 13,1)? Gute Knechte werden wir durch unsere lebendige Be­ziehung zu JESUS CHRISTUS. Nur wenn unser Leben sich im Dialog mit Ihm abspielt, nur wenn Sein Wesen, Seine Eigen­schaften in uns eindringen, uns formen, können wir wahrhaft gute Knechte werden.“

Predigt bei Bischofsweihen in St. Peter, 12.9.2009

Sich an der Kenntnis des Willens GOTTES freuen

„Wissenschaft sagt uns vieles und nützt uns in vielem. Die Weisheit aber ist Erkenntnis des Wesentlichen – Erkenntnis dessen, wozu wir da sind und wie wir leben müssen, damit das Leben recht wird… Ich glaube, es lohnt sich, einen Au­genblick innezuhalten bei der Freude Israels [vgl. Dtn 4,7 f] darüber, den Willen GOTTES zu kennen und so mit der Weis­heit beschenkt zu sein, die uns heilt und die wir nicht selber zu finden vermögen. Gibt es ein ähnliches Gefühl der Freude über die Nähe GOTTES und das Geschenk Seines Wortes bei uns, in der Kirche heute? Wer eine solche Freude zeigen wollte, wird schnell des Triumphalismus beschuldigt. Aber es ist ja nicht unsere Tüchtigkeit, die uns den wahren Willen GOTTES gezeigt hat. Es ist ein unverdientes Geschenk, das uns zugleich demütig und froh macht. Wenn wir die Ratlo­sigkeit der Welt vor den großen Fragen der Gegenwart und der Zukunft bedenken, dann sollte auch in uns die Freude dar­über wieder aufbrechen, dass GOTT uns unverdient Sein Gesicht, Seinen Willen, sich selbst gezeigt hat. Wenn diese Freude wieder in uns aufsteigt, dann wird sie auch das Herz der Nichtgläubigen berühren. Ohne diese Freude überzeugen wir nicht. Aber wo diese Freude da ist, hat sie – absichtslos – missionarische Kraft. Denn dann wird sie den Menschen doch zur Frage, ob nicht wirklich hier der Weg zu finden sei – ob nicht diese Freude in der Tat auf die Spur GOTTES selber führt.

All dies findet sich noch weiter vertieft in der Lesung aus dem Jakobusbrief [Jak 1,17-18.21b-22.27]… Ich liebe den Jako­busbrief vor allem deshalb, weil wir darin Einblick in die Frömmigkeit der Familie JESU gewinnen. Diese Familie war eine observante Familie. Sie war observant im Sinn der deute­ronomischen Freude an der Nähe GOTTES, die uns in Seinem Wort und Gebot geschenkt ist. Es ist eine ganz andere Art von Observanz, als sie uns bei den Pharisäern des Evangeliums begegnet, die daraus ein veräußerlichtes und verknechtendes System gemacht haben. Es ist auch eine andere Art von Ob­servanz als diejenige, die Paulus als Rabbiner gelernt hatte: Dies war, wie wir aus seinen Briefen sehen, die Observanz eines Spezialisten, der alles kannte und alles wusste; der stolz war auf sein Wissen und seine Gerechtigkeit, anderseits aber doch unter der Last der Vorschriften litt, so dass das Gesetz nicht mehr als freudige Führung zu GOTT erschien, sondern als Anspruch, der letztlich nicht getragen werden konnte.

Im Jakobusbrief finden wir jene Observanz, die nicht auf sich selbst hinschaut, sondern freudig auf den nahen GOTT hinblickt, der uns Seine Nähe schenkt und uns den rechten Weg zeigt. So spricht der Jakobusbrief von dem voll­kommenen Gesetz der Freiheit und meint damit das neue, vertiefte Verständnis des Gesetzes, das der HERR uns ge­schenkt hat. Für Jakobus ist Gesetz nicht ein uns überfordern­der Anspruch, der uns von außen gegenübersteht und nie einzuholen ist. Er denkt aus der Perspektive, die uns in einem Satz aus den Abschiedsreden JESU begegnet: ‚Ich nenne euch nicht mehr Knechte; denn der Knecht weiß nicht, was sein Herr tut. Vielmehr habe ich euch Freunde genannt; denn ich habe euch alles mitgeteilt, was ich von meinem VATER gehört habe’ (Joh 15,15). Wem alles eröffnet ist, der gehört zur Familie; der ist nicht mehr Knecht, sondern ein Freier, eben weil er selbst zum Haus gehört. Ein erstes solches Einführen in das Denken GOTTES selbst ist in Israel am Sinai geschehen. Es ist endgültig und groß geschehen im Abendmahlsaal und über­haupt im Wirken, Leben, Leiden und Auferstehen JESU; in Ihm hat GOTT uns alles gesagt, sich ganz gezeigt. Wir sind nicht mehr Knechte, sondern Freunde. Und das Gesetz ist nicht mehr Vorschrift für Unfreie, sondern es ist die Berührung mit der Liebe GOTTES – das Hineingenommenwerden in die Familie, das uns frei und ‚vollkommen’ macht. In diesem Sinn spricht Jakobus heute in der Lesung davon, dass uns der HERR durch Sein Wort gezeugt hat, dass Er Sein Wort als Kraft des Lebens in uns hineingesenkt hat. Hier fällt auch das Wort von der ‚reinen Religion’, die in der Liebe zum Nächsten besteht… und in der Freiheit gegenüber den Moden dieser Welt, die uns verschmutzen. Das Gesetz als Wort der Liebe ist nicht Widerspruch zur Freiheit, sondern Erneuerung von innen her durch die Freundschaft mit GOTT. Ähnliches zeigt sich, wenn JESUS in der Weinstockrede zu den Jüngern sagt: ‚Ihr seid rein durch mein Wort, das ich zu euch gesprochen habe’ (Joh 15,3). Und noch einmal erscheint dasselbe im ho­hepriesterlichen Gebet: ‚Ihr seid geheiligt in der Wahrheit’ (vgl. Joh 17,17-19). So finden wir nun das rechte Gefüge des Vor­gangs von Reinigung und Reinheit: Nicht wir schaffen das Gute – das wäre bloßer Moralismus –, sondern die Wahr­heit geht auf uns zu. Er selbst ist die Wahrheit, die Wahrheit in Person. Reinheit ist ein dialogisches Ereignis. Sie beginnt damit, dass Er auf uns zugeht – Er, der die Wahrheit und die Liebe ist –, dass Er uns in die Hand nimmt, unser Sein durch­dringt. In dem Maß, in dem wir uns von Ihm berühren lassen, in dem Begegnung zu Freundschaft und Liebe wird, werden wir selbst Reine von Seiner Reinheit her und dann Mitliebende, die auch andere in Seine Reinheit und Liebe hineinführen. Augus­tinus hat diesen ganzen Vorgang in das schöne Wort zusam­mengefasst: ‚Da quod iubes et iube quod vis’ – Gib, was Du befiehlst, und dann befiehl, was Du willst. Diese Bitte wollen wir in dieser Stunde vor den HERRN hintragen, Ihn bitten: Ja, reinige uns in der Wahrheit. Sei Du die Wahrheit, die uns rein macht. Lass uns durch die Freundschaft mit Dir frei und so wahrhaft Kinder GOTTES werden – fähig werden, an Deinem Tisch zu sitzen und das Licht Deiner Reinheit und Güte in die­ser Welt auszubreiten.“

Predigt, 22. Sonntag i. Jkr., vor dem „Ratzinger-Schülerkreis“, Castel Gandolfo 30.8.09

Geistlicher Giftmüll

„Wenn man von den Schätzen Afrikas spricht, dann denkt man sofort an seine reichen Ressourcen, die leider zum Anlass geworden sind für Ausbeutung, Konflikte und Bestechlichkeit… Das Wort GOTTES dagegen lässt uns auf andere Schätze blicken: auf das geistliche und kulturelle Erbe, das die Mensch­heit noch mehr braucht als die Rohstoffe… Unter diesem Ge­sichtspunkt ist Afrika gleichsam eine riesige geistliche ‚Lunge’ für eine Menschheit, die sich in einer Krise des Glaubens und der Hoffnung befindet. Aber auch diese ‚Lunge’ kann erkranken. Und im Augenblick wird sie von min­destens zwei gefährlichen Erregern angegriffen, vor allem von einer Krankheit, die in der westlichen Welt schon weit verbreitet ist: dem praktischen Materialismus, verbunden mit relativistischem und nihilistischem Denken. Ohne weiter darauf einzugehen, wie diese Übel des Geistes entstanden sind, steht dennoch außer Frage, dass die sogenannte ‚Erste’ Welt zuweilen geistlichen Giftmüll exportiert hat und expor­tiert, der die Bevölkerungen anderer Kontinente ansteckt… (Es) muss noch ein zweiter ‚Virus’ erwähnt werden, der auch Afrika befallen könnte: der religiöse Fundamentalismus, ver­mengt mit politischen und wirtschaftlichen Interessen. Grup­pen, die sich auf verschiedene Religionszugehörigkeiten beru­fen, breiten sich auf dem afrikanischen Kontinent aus. Sie tun es im Namen GOTTES, aber nach einer Logik, die der GÖTT­lichen widerspricht: Sie lehren und praktizieren nicht Liebe und Achtung der Freiheit, sondern Intoleranz und Gewalt…“

Eröffnung der 2. Sonderversammlung der Bischofssynode für Afrika, 4.10.2009

Priester unersetzlich

„Die harmonische, korrekte und klare Vertiefung der Beziehung zwischen allgemeinem Priestertum und Amtspriestertum ist derzeit einer der heikelsten Punkte des Wesens und Lebens der Kirche. Die geringe Zahl von Priestern könnte in der Tat die Gemeinden dazu verleiten, sich mit diesem Mangel abzu­finden, indem sie sich mitunter damit trösten, dass dieser Man­gel die Rolle der gläubigen Laien besser herausstelle. Aber es ist nicht der Priestermangel, der eine aktivere und fundier­tere Beteiligung der Laien rechtfertigt. Je mehr sich die Gläubigen ihrer Verantwortung in der Kirche bewusst werden, umso klarer tritt tatsächlich die besondere Identität und die unersetzliche Rolle des Priesters als Hirte der ganzen Ge­meinde, als Zeuge der Echtheit des Glaubens und als Spender der Heilsgeheimnisse im Namen CHRISTI, des Hauptes der Kirche, zutage… (Es) ist die Funktion des Pries­ters wesentlich und unersetzlich für die Verkündigung des Wortes und für die Feier der Sakramente, vor allem der Eucha­ristie, Gedächtnis des höchsten Opfers CHRISTI, der Seinen Leib und Sein Blut hingibt. Darum ist es dringend nötig, den HERRN zu bitten, dass Er Arbeiter für Seine Ernte entsendet; außerdem müssen die Priester die Freude der Treue zu ihrer Identität mit der Begeisterung für ihre Sendung bekunden…“

Ad-limina-Besuch der 2. Gruppe der Bischöfe Brasiliens, 17.9.09

Berufung zur Heiligkeit

„Ist in unseren Tagen die Heiligkeit noch aktuell? Ist das nicht vielmehr ein wenig attraktives und unwichtiges Thema? Sucht man heute nicht eher den Erfolg und das Ansehen bei den Menschen? Aber wie lange bleibt der irdische Erfolg bestehen und was ist er wert? Das vergangene Jahrhundert hat – und euer Land war Zeuge dieser Ereignisse – nicht wenige Macht­haber fallen sehen, die scheinbar fast unerreichbare Höhen erklommen hatten. Plötzlich standen sie ohne ihre Macht da. Wer GOTT geleugnet hat und Ihn weiter leugnet und des­halb auch den Menschen nicht achtet, scheint ein leichtes Leben zu haben und materiellen Erfolg zu erzielen. Aber es genügt, an der Oberfläche zu kratzen, um festzustellen, dass in diesen Menschen Traurigkeit und Unzufriedenheit herrscht. Nur wer im Herzen die heilige ‚GOTTESfurcht’ bewahrt, hat auch Vertrauen in die Menschen und setzt sein Leben für den Auf­bau einer gerechten und brüderlichen Welt ein. Wir brauchen heute Menschen, die ‚gläubig’ und ‚glaubwürdig’ sind, dazu bereit, in jedem Bereich der Gesellschaft jene christlichen Prin­zipien und Ideale zu verbreiten, von denen sie sich in ihrem Handeln leiten lassen. Das ist die Heiligkeit, eine allgemeine Berufung aller Getauften, die uns anspornt, unsere Pflicht in Treue und mit Mut zu erfüllen und dabei nicht auf unse­ren eigenen Vorteil, sondern auf das Gemeinwohl zu schauen sowie in allen Situationen den Willen GOTTES zu suchen…“

Eucharistiefeier in Altbunzlau (Stará Boleslav), Tschechien, 28.9.2009

 

 

 

2. Soziale Themen

 

Auszüge aus der Enzyklika „Caritas in veritate“ (29.6.2009)

Wahrheit und Liebe

1. „Caritas in veritate – die Liebe in der Wahrheit, die JESUS CHRISTUS mit Seinem irdischen Leben und vor allem mit Seinem Tod und Seiner Auferstehung bezeugt hat, ist der hauptsächliche Antrieb für die wirkliche Entwicklung eines jeden Menschen und der gesamten Menschheit. Die Liebe – ‚caritas’ – ist eine außerordentliche Kraft, welche die Menschen drängt, sich mutig und großherzig auf dem Gebiet der Gerech­tigkeit und des Friedens einzusetzen. Es ist eine Kraft, die ihren Ursprung in GOTT hat, der die ewige Liebe und die absolute Wahrheit ist. Jeder findet sein Glück, indem er in den Plan einwilligt, den GOTT für ihn hat, um ihn vollkom­men zu verwirklichen: In diesem Plan findet er nämlich seine Wahrheit, und indem er dieser Wahrheit zustimmt, wird er frei (vgl. Joh 8,22). Die Wahrheit zu verteidigen, sie demütig und überzeugt vorzubringen und sie im Leben zu bezeugen, sind daher anspruchsvolle und unersetzliche Formen der Liebe. Denn diese ‚freut sich an der Wahrheit’ (1 Kor 13,6). Alle Men­schen spüren den inneren Impuls, wahrhaft zu lieben: Liebe und Wahrheit weichen niemals gänzlich von ihnen, denn sie sind die Berufung, die GOTT ins Herz und in den Geist eines jeden Menschen gelegt hat. JESUS CHRISTUS reinigt und befreit die Suche nach der Liebe und der Wahrheit von unseren menschlichen Armseligkeiten und offenbart uns vollends die Initiative der Liebe und den Plan eines wahren Lebens, das GOTT für uns vorbereitet hat. Die Liebe in der Wahrheit wird zum Gesicht CHRISTI; und in CHRISTUS wird sie zur Berufung für uns, unsere Mitmenschen in der Wahrheit Seines Planes zu lieben. Er selbst ist ja die Wahrheit (vgl. Joh 14,6)…

2. …Die Wahrheit muss in der ‚Ökonomie’ der Liebe gesucht, gefunden und ausgedrückt werden, aber die Liebe muss ihrer­seits im Licht der Wahrheit verstanden, bestätigt und praktiziert werden. Auf diese Weise… (werden) wir auch dazu beitragen, dass sich die Wahrheit glaubwürdig erweist, indem wir ihre Authentizität und ihre Überzeugungskraft im konkreten gesellschaftlichen Leben deutlich machen. Das ist heute von nicht geringer Bedeutung in einem sozialen und kulturellen Umfeld, das die Wahrheit relativiert und ihr gegenüber oft gleichgültig und ablehnend eingestellt ist… (3.) …Nur in der Wahrheit erstrahlt die Liebe und kann glaubwürdig gelebt werden. Die Wahrheit ist ein Licht, das der Liebe Sinn und Wert verleiht… Ohne Wahrheit gleitet die Liebe in Sentimen­talität ab. Sie wird ein leeres Gehäuse, das man nach Belie­ben füllen kann. Das ist die verhängnisvolle Gefahr für die Liebe in einer Kultur ohne Wahrheit. Sie wird Opfer der zufälli­gen Gefühle und Meinungen der einzelnen, ein Wort, das missbraucht und verzerrt wird, bis es schließlich das Gegenteil bedeutet… (4.) …Ein Christentum der Liebe ohne Wahrheit kann leicht mit einem Vorrat an guten, für das gesellschaftliche Zusammenleben nützlichen, aber nebensächlichen Gefühlen verwechselt werden. Auf diese Weise gäbe es keinen eigentlichen Platz mehr für GOTT in der Welt…

5. Caritas ist empfangene und geschenkte Liebe… Als Emp­fänger der Liebe GOTTES sind die Menschen eingesetzt, Trä­ger der Nächstenliebe zu sein, und dazu berufen, selbst Werk­zeuge der Gnade zu werden, um die Liebe GOTTES zu ver­breiten und Netze der Nächstenliebe zu knüpfen… (6.) …Die Liebe geht über die Gerechtigkeit hinaus, denn lieben ist schenken, dem anderen von dem geben, was ‚mein’ ist; aber sie ist nie ohne die Gerechtigkeit, die mich dazu be­wegt, dem anderen das zu geben, was ‚sein’ ist, das, was ihm aufgrund seines Seins und seines Wirkens zukommt. Ich kann dem anderen nicht von dem, was mein ist, ‚schenken’, ohne ihm an erster Stelle das gegeben zu haben, was ihm rechtmäßig zusteht. Wer den anderen mit Nächstenliebe be­gegnet, ist vor allem gerecht zu ihnen… (7.) Ferner muss be­sonderer Wert auf das Gemeinwohl gelegt werden. Jemanden lieben heißt sein Wohl im Auge haben und sich wirkungsvoll dafür einsetzen…“

 

Immer neue Probleme im unveränderlichen Licht betrachten

„12. Die Verbindung zwischen Populorum progressio und dem 2. Vatikanischen Konzil stellt nicht etwa einen Bruch zwischen dem Lehramt Papst Pauls VI. in sozialen Fragen und dem seiner Vorgänger auf dem Stuhl Petri dar, denn das Konzil ist eine Vertiefung dieser Lehre in der Kontinuität des Lebens der Kirche… Es gibt nicht zwei Typologien von Soziallehre, eine vorkonziliare und eine nachkonziliare, die sich voneinander unterscheiden, sondern eine einzige kohärente und zugleich stets neue LehreDie Soziallehre der Kirche beleuchtet die immer neuen Probleme, die auftauchen, mit einem Licht, das sich nicht verändert…“

 

Achtung vor dem Leben

„(15.) … Die Enzyklika Humanae vitae unterstreicht die zwei­fache Bedeutung der Sexualität als Vereinigung und als Zeugung und gründet damit die Gesellschaft auf das Funda­ment des Ehepaares, eines Mannes und einer Frau, die sich gegenseitig annehmen in ihrer Unterschiedenheit und Kom­plementarität; eines Paares also, das offen ist für das Leben. Es handelt sich nicht um eine bloß individuelle Moral: Huma­nae vitae zeigt die starken Verbindungen auf, die zwischen der Ethik des Lebens und der Sozialethik bestehen und hat damit eine lehramtliche Thematik eröffnet, die nach und nach in ver­schiedenen Dokumenten Gestalt gewonnen hat, zuletzt in der Enzyklika Evangelium vitae Papst Johannes Pauls II. Die Kir­che betont mit Nachdruck diesen Zusammenhang zwischen der Ethik des Lebens und der Sozialethik, denn sie weiß: Unmög­lich kann eine Gesellschaft gesicherte Grundlagen haben, die – während sie Werte wie Würde der Person, Gerechtigkeit und Frieden geltend macht – sich von Grund auf widerspricht, wenn sie die verschiedensten Formen von Missachtung und Verletzung des menschlichen Lebens akzeptiert oder duldet…

28. Einer der augenscheinlichsten Aspekte der heutigen Ent­wicklung ist die Wichtigkeit des Themas der Achtung vor dem Leben, das in keiner Weise von den Fragen bezüglich der Entwicklung der Völker getrennt werden kann… Nicht nur die Situation der Armut verursacht noch in vielen Regionen hohe Quoten der Kindersterblichkeit, sondern in verschiedenen Tei­len der Welt gibt es weiterhin Praktiken der Bevölkerungs­kontrolle durch die Regierungen, die oft die Empfängnis­verhütung verbreiten und sogar so weit gehen, die Abtrei­bung anzuordnen. In den wirtschaftlich mehr entwickelten Ländern sind die lebensfeindlichen Gesetzgebungen sehr verbreitet und haben bereits die Gewohnheit und die Praxis entscheidend beeinflusst; sie tragen dazu bei, eine gebur­tenfeindliche Mentalität zu lancieren, die man häufig auch auf andere Staaten zu übertragen sucht, als stelle sie einen kultu­rellen Fortschritt dar. Einige Nichtregierungsorganisationen arbeiten aktiv für die Verbreitung der Abtreibung und för­dern manchmal in den armen Ländern die Entscheidung für die Praxis der Sterilisierung, auch bei Frauen, die sich der Bedeutung des Eingriffs nicht bewusst sind. Außerdem besteht der begründete Verdacht, dass gelegentlich die Entwicklungs­hilfe selbst an bestimmte Formen der Gesundheitspolitik ge­knüpft wird, die de facto die Auferlegung starker Geburten­kontrollen einschließen. Besorgniserregend sind ferner Ge­setzgebungen, welche die Euthanasie vorsehen, und ebenso beunruhigend auch der Druck von nationalen und internationa­len Gruppen, die deren rechtliche Anerkennung fordern. Die Offenheit für das Leben steht im Zentrum der wahren Entwick­lung. Wenn eine Gesellschaft den Weg der Lebensverweige­rung oder –unterdrückung einschlägt, wird sie schließlich nicht mehr die nötigen Motivationen und Energien finden, um sich für das wahre Wohl des Menschen einzusetzen. Wenn der persönliche und gesellschaftliche Sinn für die Annahme eines neuen Lebens verlorengeht, verdorren auch andere, für das gesellschaftliche Leben hilfreiche Formen der Annahme…“

 

Religionsfreiheit, Atheismus, Erbsünde, Naturrecht

„29. Es gibt noch einen anderen Aspekt des heutigen Lebens, der mit der Entwicklung sehr eng verbunden ist: die Verweige­rung des Rechtes auf Religionsfreiheit… GOTT ist der Ga­rant der wahren Entwicklung des Menschen, denn da Er ihn nach Seinem Bild geschaffen hat, begründet Er auch seine transzendente Würde und nährt sein Grundverlangen, ‚mehr zu sein’. Der Mensch ist nicht etwa ein verlorenes Atom in einem Zufalls-Universum, sondern ein Geschöpf GOTTES, das von Ihm eine unsterbliche Seele empfangen hat und von Ewigkeit her geliebt worden ist. Wenn der Mensch nur das Ergebnis des Zufalls bzw. der Notwendigkeit wäre oder wenn er seine Bestrebungen auf den begrenzten Horizont der Situationen reduzieren müsste, in denen er lebt, wenn alles allein Geschichte und Kultur wäre und der Mensch nicht eine Natur besäße, die dazu bestimmt ist, sich in einem übernatürli­chen Leben selbst zu überschreiten, könnte man von Wachs­tum oder Evolution sprechen, aber nicht von Entwicklung. Wenn der Staat Formen eines praktischen Atheismus för­dert, lehrt oder sogar durchsetzt, entzieht er seinen Bürgern die moralische und geistige Kraft, die für den Einsatz in der ganzheitlichen menschlichen Entwicklung unentbehrlich ist, und hindert sie, mit neuer Lebendigkeit im eigenen Engagement für eine großherzigere menschliche Antwort auf die GÖTTliche Liebe voranzuschreiten…

34. …Manchmal ist der moderne Mensch fälschlicherweise der Überzeugung, der einzige Urheber seiner selbst, seines Lebens und der Gesellschaft zu sein. Diese Überheblichkeit ist eine Folge des egoistischen Sich-in-sich-selbst-Verschlie­ßens und rührt – in Begriffen des Glaubens gesprochen – von der Ursünde her. Die Weisheit der Kirche hat stets vorge­schlagen, die Erbsünde auch bei der Interpretation der sozialen Gegebenheiten und beim Aufbau der Gesellschaft zu beachten: Zu übersehen, dass der Mensch eine verwundete, zum Bösen geneigte Natur hat, führt zu schlimmen Irrtümern im Bereich der Erziehung, der Politik, des gesellschaftlichen Handelns und der Sittlichkeit…“

„(55.) …Die Welt von heute ist von einigen Kulturen mit religiö­sem Hintergrund durchzogen, die den Menschen nicht zur Gemeinschaft verpflichten, sondern ihn auf der Suche nach dem individuellen Wohl isolieren, indem sie sich darauf be­schränken, psychologische Erwartungen zu befriedigen… Ein möglicher negativer Effekt des Globalisierungsprozesses ist die Tendenz, solchen Synkretismus zu begünstigen und dabei Formen von ‚Religionen’ zu nähren, die die Menschen einander entfremden, anstatt sie einander begegnen zu lassen… Religi­onsfreiheit bedeutet nicht religiöse Gleichgültigkeit und bringt nicht mit sich, dass alle Religionen gleich sind. Die Unterscheidung hinsichtlich des Beitrags der Kulturen und Religionen zum Aufbau der sozialen Gemeinschaft in der Ach­tung des Gemeinwohls ist vor allem für den, der politische Ge­walt ausübt, erforderlich. Solche Unterscheidung muss sich auf das Kriterium der Liebe und Wahrheit stützen… ‚Der ganze Mensch und alle Menschen’ sind das Kriterium, um auch die Kulturen und die Religionen zu beurteilen. Das Christentum, die Religion des GOTTES, der ein menschliches Angesicht hat, trägt in sich selbst ein solches Kriterium.

56. Die christliche Religion und die anderen Religionen können ihren Beitrag zur Entwicklung nur leisten, wenn GOTT auch im öffentlichen Bereich mit spezifischem Bezug auf die kultu­rellen, sozialen, wirtschaftlichen und insbesondere politi­schen Aspekte Platz findet. Die Soziallehre der Kirche ist ent­standen, um dieses ‚Statut des Bürgerrechts’ der christlichen Religion geltend zu machen. Die Verweigerung des Rechts, öffentlich die eigene Religion zu bekennen und dafür tätig zu sein, dass auch das öffentliche Leben über die Wahrheiten des Glaubens unterrichtet wird, bringt negative Folgen für die wahre Entwicklung mit sich… Die Menschenrechte laufen Gefahr, nicht geachtet zu werden, weil sie entweder ihres transzendenten Fundaments beraubt werden oder weil die persönliche Freiheit nicht anerkannt wird. Im Laizismus und im Fundamentalismus verliert man die Möglichkeit eines frucht­baren Dialogs und einer gewinnbringenden Zusammenarbeit zwischen Vernunft und religiösem Glauben. Die Vernunft be­darf stets der Reinigung durch den Glauben, und dies gilt auch für die politische Vernunft, die sich nicht für allmächtig halten darf

(59.) … In allen Kulturen gibt es besondere und vielfältige ethi­sche Übereinstimmungen, die Ausdruck derselben mensch­lichen, vom Schöpfer gewollten Natur sind und die von der ethischen Weisheit der Menschheit Naturrecht genannt wird. Ein solches universales Sittengesetz ist die feste Grundlage eines jeden kulturellen, religiösen und politischen Dialogs und erlaubt dem vielfältigen Pluralismus der verschiedenen Kulturen, sich nicht von der gemeinsamen Suche nach dem Wahren und Guten und nach GOTT zu lösen. Die Zustim­mung zu diesem in die Herzen eingeschriebenen Gesetz ist daher die Voraussetzung für jede konstruktive soziale Zusam­menarbeit. In allen Kulturen gibt es Beschwerliches, von dem man sich befreien, und Schatten, denen man sich entziehen muss. Der christliche Glaube, der in den Kulturen Gestalt an­nimmt und sie dabei transzendiert, kann ihnen helfen, in uni­versaler Gemeinschaft und Solidarität zum Vorteil der gemein­samen weltweiten Entwicklung zu wachsen.“

 

Bevölkerungspolitik, Sexualerziehung

„44. Die Auffassung von den Rechten und Pflichten in der Ent­wicklung muss auch den Problemkreis im Zusammenhang mit dem Bevölkerungswachstum berücksichtigen. Es handelt sich um einen sehr wichtigen Aspekt der echten Entwicklung, weil er die unverzichtbaren Werte des Lebens und der Familie betrifft. In der Bevölkerungszunahme die Hauptursache der Unterentwicklung zu sehen, ist – auch in wirtschaftlicher Hin­sicht – unkorrekt. Man braucht nur einerseits an den bedeu­tenden Rückgang der Kindersterblichkeit und die Verlängerung des durchschnittlichen Lebensalters in neuen wirtschaftlich entwickelten Ländern zu denken und andererseits an die deut­lichen Zeichen einer Krise in solchen Gesellschaften, die einen beunruhigenden Geburtenrückgang verzeichnen. Die Kirche, der die wahre Entwicklung des Menschen am Herzen liegt, empfiehlt ihm die umfassende Achtung menschlicher Werte, und dies gilt auch für den Umgang mit der Sexualität: Man kann sie nicht auf eine lediglich hedonistische und spieleri­sche Handlung reduzieren, so wie man die Sexualerziehung nicht auf eine technische Anleitung reduzieren kann, deren einzige Sorge es ist, die Betroffenen vor eventuellen Anste­ckungen oder vor dem ‚Risiko’ der Fortpflanzung zu schützen. Das würde einer Verarmung und Missachtung der tiefen Bedeutung der Sexualität gleichkommen, die jedoch sowohl von der einzelnen Person wie von der Gemeinschaft anerkannt und verantwortungsvoll angenommen werden soll. Die Verant­wortung verbietet es nämlich ebenso, die Sexualität lediglich als Lustquelle zu betrachten, wie sie in politische Maßnah­men einer erzwungenen Geburtenplanung einzubeziehen. In beiden Fällen steht man vor materialistischen Auffassungen und deren politischen Umsetzungen, in denen die Menschen schließlich verschiedene Formen von Gewalt erleiden. All dem muss man in diesem Bereich die vorrangige Zuständig­keit der Familie gegenüber dem Staat und seinen restriktiven politischen Maßnahmen sowie eine entsprechende Erziehung der Eltern entgegensetzen.

Die moralisch verantwortungsvolle Offenheit für das Leben ist ein sozialer und wirtschaftlicher Reichtum… Der Geburten­rückgang, der die Bevölkerungszahl manchmal unter den kritischen demographischen Wert sinken lässt, stürzt auch die Sozialhilfesysteme in die Krise, führt zur Erhöhung der Kosten, schränkt die Rückstellung von Ersparnissen und in der Folge die für die Investitionen nötigen finanziellen Ressourcen ein, reduziert die Verfügbarkeit qualifizierter Arbeitskräfte und verringert das Reservoir der ‚Köpfe’, aus dem man für die Bedürfnisse der Nation schöpfen muss. Außerdem laufen die kleinen, manchmal sehr kleinen Familien Gefahr, die sozialen Beziehungen zu vernachlässigen und keine wirksamen Solida­ritätsformen zu gewährleisten. Diese Situationen weisen die Symptome eines geringen Vertrauens in die Zukunft sowie einer moralischen Müdigkeit auf. Daher wird es zu einer so­zialen und sogar ökonomischen Notwendigkeit, den jungen Generationen wieder die Schönheit der Familie und der Ehe vor Augen zu stellen sowie die Übereinstimmung dieser Ein­richtungen mit den tiefsten Bedürfnissen des Herzens und der Würde des Menschen. In dieser Hinsicht sind die Staaten dazu aufgerufen, politische Maßnahmen zu treffen, die die zentrale Stellung und die Unversehrtheit der auf die Ehe zwischen einem Mann und einer Frau gegründeten Familie, der Grund- und Lebenszelle der Gesellschaft, dadurch fördern, indem sie sich auch um deren wirtschaftliche und finanzielle Probleme in Achtung vor ihrem auf Beziehung beruhenden Wesen kümmern.“

 

Ökologie nicht nur für die Umwelt, sondern für den Menschen selber

„51. Die Verhaltensmuster, nach denen der Mensch die Umwelt behandelt, beeinflussen die Verhaltensmuster, nach denen er sich selbst behandelt, und umgekehrt. Das fordert die heutige Gesellschaft dazu heraus, ernsthaft ihren Lebensstil zu überprüfen, der in vielen Teilen der Welt zum Hedonismus und Konsumismus neigt und gegenüber den daraus entste­henden Schäden gleichgültig bleibt. Notwendig ist ein tatsächli­cher Gesinnungswandel…

Wie die menschlichen Tugenden miteinander verbunden sind, sodass die Schwächung einer Tugend auch die anderen gefährdet, so stützt sich das ökologische System auf die Ein­haltung eines Planes, der sowohl das gesunde Zusammenle­ben in der Gesellschaft wie das gute Verhältnis zur Natur be­trifft. Um die Natur zu schützen, genügt es nicht, mit anspor­nenden oder einschränkenden Maßnahmen einzugreifen, und auch eine entsprechende Anleitung reicht nicht aus. Das sind wichtige Hilfsmittel, aber das entscheidende Problem ist das moralische Verhalten der Gesellschaft. Wenn das Recht auf Leben und auf einen natürlichen Tod nicht respektiert wird, wenn Empfängnis, Schwangerschaft und Geburt des Men­schen auf künstlichem Weg erfolgen, wenn Embryonen für die Forschung geopfert werden, verschwindet schließlich der Begriff der Humanökologie und mit ihm der Begriff der Umwelt­ökologie aus dem allgemeinen Bewusstsein. Es ist ein Wider­spruch, von den neuen Generationen die Achtung der na­türlichen Umwelt zu verlangen, wenn Erziehung und Ge­setze ihnen nicht helfen, sich selbst zu achten. Das Buch der Natur ist eines und unteilbar sowohl bezüglich der Umwelt wie des Lebens und der Bereiche Sexualität, Ehe, Familie, soziale Beziehungen, kurz der ganzheitlichen Entwicklung des Menschen… Man kann nicht die einen Pflichten fordern und die anderen unterdrücken. Das ist ein schwerwiegender Wider­spruch der heutigen Mentalität und Praxis, der den Men­schen demütigt, die Umwelt erschüttert und die Gesellschaft beschädigt.“

 

Bildung

„61. …Der Begriff ‚Bildung’ bezieht sich nicht allein auf Unter­richt und Ausbildung zum Beruf…, sondern auf die umfas­sende Formung der Person. Diesbezüglich ist ein problemati­scher Aspekt hervorzuheben: Bei der Erziehung muss man wissen, was die menschliche Person ist, und ihre Natur kennen. Die Behauptung einer relativistischen Sicht dieser Natur stellt die Erziehung, vor allem die moralische Erziehung, vor ernste Probleme, indem sie ihre erweiterte Bedeutung auf universaler Ebene beeinträchtigt. Wenn man einem solchen Relativismus nachgibt, werden alle ärmer, was negative Aus­wirkungen auch auf die Wirksamkeit der Hilfe für die notleiden­den Völker hat, die nicht nur der wirtschaftlichen und techni­schen Mittel bedürfen, sondern auch pädagogische Möglich­keiten und Mittel brauchen, die die Personen in ihrer vollen menschlichen Verwirklichung unterstützen.

Ein Beispiel für die Bedeutung dieses Problems bietet uns das Phänomen des internationalen Tourismus, der einen be­trächtlichen Faktor für die wirtschaftliche Entwicklung und das kulturelle Wachstum darstellen kann, sich aber auch in eine Gelegenheit zu Ausbeutung und moralischem Verfall verwan­deln kann… In vielen anderen (Fällen) ist der internationale Tourismus ein in erzieherischer Hinsicht verderbliches Ereignis sowohl für den Touristen als auch für die örtliche Bevölkerung. Letztere wird oft mit unmoralischem oder sogar perversem Verhalten konfrontiert, wie es beim sogenannten Sextourismus der Fall ist, dem viele Menschen, selbst in ju­gendlichem Alter, zum Opfer fallen. Es ist schmerzlich fest­zustellen dass dies sich oft mit Zustimmung der örtlichen Re­gierungen, mit dem Schweigen der Regierungen der Her­kunftsländer der Touristen und in Komplizenschaft vieler, die in der Branche tätig sind, abspielt. Auch wenn es nicht zu solchen Auswüchsen kommt, wird der internationale Tourismus nicht selten als Konsum und in hedonistischer Form gelebt…“

 

Technik

„74. Der wichtigste und entscheidende Bereich der kulturellen Auseinandersetzung zwischen dem Absolutheitsanspruch der Technik und der moralischen Verantwortung des Menschen ist heute die Bioethik, wo auf radikale Weise die Möglichkeit einer ganzheitlichen menschlichen Entwicklung auf dem Spiel steht. Es handelt sich um einen äußerst heiklen und entscheidenden Bereich, in dem mit dramatischer Kraft die fundamentale Frage auftaucht, ob sich der Mensch selbst hervorgebracht hat oder ob er von GOTT abhängt. Die wissenschaftlichen Ent­deckungen auf diesem Gebiet und die Möglichkeiten techni­scher Eingriffe scheinen so weit vorangekommen zu sein, dass sie uns vor die Wahl zwischen zwei Arten der Rationalität stel­len: die auf Transzendenz hin offene Vernunft oder die in der Immanenz eingeschlossene Vernunft… Die Rationalität des auf sich selbst zentrierten technischen Machens erweist sich jedoch als irrational, weil sie eine entschiedene Ableh­nung von Sinn und Wert mit sich bringt… (75.) …In der heutigen Kultur der totalen Ernüchterung, die glaubt, alle Ge­heimnisse aufgedeckt zu haben, weil man bereits an die Wur­zel des Lebens gelangt ist, kommt es zur Entwicklung und Förderung von In-vitro-Fertilisation, Embryonenforschung, Möglichkeiten des Klonens und der Hybridisierung des Menschen. Hier findet der Absolutheitsanspruch der Technik seinen massivsten Ausdruck. In dieser Art von Kultur ist das Gewissen nur dazu berufen, eine rein technische Möglichkeit zur Kenntnis zu nehmen. Man kann jedoch nicht die beunru­higenden Szenarien für die Zukunft des Menschen und die neuen mächtigen Instrumente, die der ‚Kultur des Todes’ zur Verfügung stehen, bagatellisieren. Zur verbreiteten tragi­schen Plage der Abtreibung könnte in Zukunft – aber insge­heim bereits jetzt schon ‚in nuce’ vorhanden – eine systemati­sche eugenische Geburtenplanung hinzukommen. Auf der entgegengesetzten Seite wird einer ‚mens euthanasica’ der Weg bereitet, einem nicht weniger missbräuchlichen Ausdruck der Herrschaft über das Leben, das unter bestimmten Bedin­gungen als nicht mehr lebenswert betrachtet wird. Hinter die­sen Szenarien stehen kulturelle Auffassungen, welche die menschliche Würde leugnen… Es verwundert einen die will­kürliche Selektivität all dessen, was heute als achtenswert vorgeschlagen wird. Während viele gleich bereit sind, sich über Nebensächlichkeiten zu entrüsten, scheinen sie unerhörte Ungerechtigkeiten zu tolerieren… (76.) Einer der Aspekte des modernen technischen Geistes besteht in der Neigung, die mit dem Innenleben verbundenen Fragen und Regungen nur unter einem psychologischen Gesichtspunkt bis hin zum neurologi­schen Reduktionismus zu betrachten. Die Innerlichkeit des Menschen wird so entleert, und das Bewusstsein von der ontologischen Beschaffenheit der menschlichen Seele mit ihren Tiefen, die die Heiligen auszuloten wussten, geht allmählich verloren. Die Frage der Entwicklung ist auch mit unserer Auffassung von der Seele des Menschen eng verbun­den, da unser Ich oft auf die Psyche reduziert wird und die Gesundheit der Seele mit dem emotionalen Wohlbefinden verwechselt wird. Diesen Verkürzungen liegt ein tiefes Unver­ständnis des geistlichen Lebens zugrunde… Die Entwicklung muss außer dem materiellen auch ein geistig-geistliches Wachstum umfassen, weil der Mensch eine ‚Einheit aus Seele und Leib’ ist, geboren von der schöpferischen Liebe GOTTES und zum ewigen Leben bestimmt… Fern von GOTT ist der Mensch unstet und krank. Die soziale und psychologische Entfremdung und die vielen Neurosen, die für die reichen Ge­sellschaften kennzeichnend sind, verweisen auch auf Ursachen geistlicher Natur…“

 

Schluss

„78. Ohne GOTT weiß der Mensch nicht, wohin er gehen soll, und vermag nicht einmal zu begreifen, wer er ist. Angesichts der enormen Probleme der Entwicklung der Völker, die uns fast zur Mutlosigkeit und zum Aufgeben drängen, kommt uns das Wort des HERRN JESUS CHRISTUS zu Hilfe, der uns wissen lässt: ‚Getrennt von mir könnt ihr nichts voll­bringen’ (Joh 15,5) und uns ermutigt: ‚Ich bin bei euch alle Tage bis zum Ende der Welt’ (Mt 28,20)… Der Humanismus, der GOTT ausschließt, ist ein unmenschlicher Humanis­mus… Die Liebe GOTTES ruft uns zum Aussteigen aus allem, was begrenzt und nicht endgültig ist; sie macht uns Mut, weiter zu arbeiten in der Suche nach dem Wohl für alle, auch wenn es sich nicht sofort verwirklichen lässt, auch wenn das, was uns zu verwirklichen gelingt – uns und den politischen Autoritäten und Wirtschaftsfachleuten –, stets weniger ist als das, was wir anstreben. GOTT gibt uns die Kraft, zu kämpfen und aus Liebe für das allgemeine Wohl zu leiden, weil Er unser Alles, unsere größte Hoffnung ist. (79.) Die Entwicklung braucht Christen, die die Arme zu GOTT erheben in der Geste des Gebets, Christen, die von dem Bewusstsein getragen sind, dass die von Wahrheit erfüllte Liebe, ‚caritas in veritate’, von der die echte Entwicklung ausgeht, nicht unser Werk ist, sondern uns geschenkt wird…“

 

 

 

 

 

3. Jugend

 

 

Nach dem Beispiel des GÖTTlichen Kinderfreundes

„Im Abschnitt aus dem Evangelium enthält die Liturgie auch den Text über JESUS und die Kinder (Mk 10,13-15)… In der Szene JESU, der die Kinder annimmt und entrüstet die Jünger zurechtweist, die sie abweisen wollten, sehen wir das Bild einer Kirche, die in Afrika und in allen anderen Teilen der Erde ihre Mütterlichkeit unter Beweis stellt, vor allem gegenüber den Kleinsten und Geringsten, auch wenn sie noch nicht geboren sind. Wie JESUS; der HERR, betrachtet die Kirche sie nicht vorrangig als Empfänger von Hilfsmaßnahmen und schon gar nicht von falschem Mitleid oder als Gegenstand der Instrumentalisierung, sondern als vollberechtigte Personen, die mit der ihnen eigenen Sehweise den Königsweg aufzei­gen, um in das Reich GOTTES hineinzukommen: sich be­dingungslos Seiner Liebe anzuvertrauen.“

Eröffnung der 2. Sonderversammlung der Bischofssynode für Afrika, 4.10.2009

Beim Prager JESULEIN

„…Die Figur des JESUSkindes lässt uns mit der Zartheit Seiner Kindlichkeit auch die Nähe GOTTES und Seine Liebe verspü­ren. Wir verstehen, wie kostbar wir in Seinen Augen sind, denn gerade durch JESUS sind wir unsererseits Kinder GOTTES geworden. Jeder Mensch ist Kind GOTTES und darum unser Bruder, und als solcher muss er angenommen und geachtet werden. Möge unsere Gesellschaft doch diese Wirklichkeit verstehen! Dann würde jeder Mensch nicht für das geachtet, was er hat, sondern für das, was er ist, denn im Ant­litz eines jeden Menschen scheint ohne Unterschied der Rasse oder der Kultur das Bild GOTTES auf. Das gilt vor allem für die Kinder. Im Prager JESULEIN betrachten wir die Schönheit der Kindheit und die Vorliebe, die JESUS CHRISTUS immer für die Kleinen gezeigt hat, wie wir im Evangelium lesen (vgl. Mk 10,13-16). Wie viele Kinder werden hingegen nicht ge­liebt, nicht angenommen und nicht geachtet! Wie viele sind Opfer der Gewalt und jeder Art von Ausbeutung durch skrupel­lose Menschen! Den Kleinen möge jene Achtung und jene Aufmerksamkeit zukommen, die ihnen gebührt: Die Kinder sind die Zukunft und die Hoffnung der Menschheit.

Nun möchte ich ein besonderes Wort an euch, liebe Kinder, und an eure Familien richten. Ihr seid in großer Zahl gekom­men, um mich zu treffen, und dafür danke ich euch von Her­zen. Ihr seid die Lieblinge im Herzen des JESUSKINDES, und darum sollt ihr Es genauso lieben und nach Seinem Bei­spiel gehorsam, höflich und hilfsbereit sein. Lernt, wie das JESUSKIND eine Stütze für eure Eltern zu sein. Seid echte Freunde JESU und geht immer voll Vertrauen zu Ihm. Betet für euch selbst, für eure Eltern, Verwandten, Lehrer und Freunde, und betet auch für mich! …Ich segne euch von Herzen und erbitte für alle den Schutz des JESUSKINDES, Seiner unbe­fleckten Mutter und des hl. Josefs.“

Grußworte in der Kirche St. Maria vom Siege in Prag, 26.9.2009

Die ersten großen Entscheidungen zum Guten oder Bösen

„Liebe Freunde, es ist nicht schwer zu erkennen, dass es in jedem Jugendlichen ein Streben nach Glück gibt, das manchmal mit einer gewissen inneren Unruhe verbunden ist. Dieses Streben wird jedoch von der heutigen Konsumgesell­schaft oft auf falsche und entfremdende Weise ausgenutzt. Die Sehnsucht nach Glück, die eine wahre und umfassende Antwort erfordert, muss hingegen ernst genommen werden. In eurem Alter trifft man nämlich die ersten großen Entschei­dungen, die ein Leben zum Guten oder zum Bösen hin aus­richten können. Leider lassen sich nicht wenige von euren Altersgenossen durch illusorische Trugbilder von künstlichen Paradiesen verlocken und finden sich dann in trauriger Ein­samkeit wieder. Es gibt aber auch viele Jugendliche, die – wie es euer Sprecher gesagt hat – die Lehre in die Tat umsetzen wollen, um ihrem Leben einen vollen Sinn zu geben. Ich lade euch alle ein, einen Blick auf die Erfahrung des hl. Augusti­nus zu werfen, der gesagt hat, dass das Herz eines jeden Menschen unruhig ist, bis er das gefunden hat, was er wirklich sucht. Und er hat entdeckt, dass allein JESUS CHRISTUS die Antwort ist, die seine Sehnsucht und die Sehn­sucht eines jeden Menschen stillt, die Sehnsucht nach einem glücklichen, von Sinn und Wert erfüllten Leben (vgl. Bekennt­nisse 1,1). So wie bei Augustinus kommt der HERR zu einem jeden von euch. Er klopft an die Tür eurer Freiheit und bittet darum, als Freund aufgenommen zu werden. Er möchte euch glücklich machen, euch mit Menschlichkeit und Würde erfüllen. Das ist der christliche Glaube: die Begegnung mit CHRISTUS, einer lebendigen Person, die dem Leben einen neuen Horizont und damit die entscheidende Ausrichtung gibt. Und wenn sich das Herz eines Jugendlichen für seine GÖTTlichen Pläne öffnet, dann fällt es ihm nicht allzu schwer, Seiner Stimme zu folgen. Der HERR ruft nämlich jeden bei seinem Namen und jedem möchte er eine besondere Sendung in der Kirche und in der Gesellschaft anvertrauen.

Liebe Jugendliche, werdet euch bewusst, dass die Taufe euch zu Kindern GOTTES und zu Gliedern Seines Leibes, der Kir­che, gemacht hat. JESUS erneuert beständig die Einladung an euch, Seine Jünger und Seine Zeugen zu sein. Viele von euch beruft Er zur Ehe, und die Vorbereitung auf dieses Sakra­ment stellt wahrlich einen Berufungsweg dar. Denkt also ernsthaft über den GÖTTlichen Ruf nach, eine christliche Fa­milie zu gründen, und eure Jugend sei die Zeit, in der ihr ver­antwortungsbewusst die Grundlagen für eure Zukunft legt. Die Gesellschaft braucht christliche Familien, heilige Familien! Und wenn euch der HERR beruft, Ihm im Priesterdienst oder im geweihten Leben nachzufolgen, dann zögert nicht, auf Seine Einladung zu antworten. Besonders in diesem Jahr der Priester rufe ich euch auf, liebe Jugendliche: Seid aufmerksam und bereit für den Ruf JESU, euer Leben im Dienst an GOTT und an Seinem Volk zu verschenken. Die Kirche braucht auch in diesem Land zahlreiche und heilige Priester und Menschen, die sich ganz dem Dienst CHRISTI weihen, der die Hoffnung der Welt ist…“

Botschaft an die Jugendlichen, Altbunzlau, Tschechien, 28.9.09

 

 

 

 

5. Maria und  Heilige

 

Die GOTTESmutter Maria und das Priestertum

„Das ‚Ja’ Mariens ist die Tür, durch die GOTT in die Welt kom­men und Mensch werden konnte. So ist Maria wirklich und zutiefst in das Geheimnis der Menschwerdung, in das Geheim­nis unseres Heils, eingebunden. Und die Inkarnation, die Menschwerdung des SOHNES, war von Anfang an auf die Selbsthingabe ausgerichtet, auf das Sich-Hinschenken am Kreuz in großer Liebe, um zum Brot für das Leben der Welt zu werden. So gehören Opfer, Priestertum und Menschwerdung zusammen, und Maria steht im Mittelpunkt dieses Geheimnis­ses.

Gehen wir jetzt zum Kreuz… Das Evangelium sagt uns, dass der hl. Johannes, der geliebte Sohn, die Mutter Maria von jener Stunde an ‚zu sich nahm’. So heißt es in der Übersetzung; aber der griechische Text ist viel tiefer und viel reicher. Wir könnten ihn so übersetzen: Er nahm Maria auf in sein inners­tes Leben, sein innerstes Sein, ‚eis tà ìdia’: in die Tiefe seines Seins. Maria zu sich nehmen bedeutet, sie hineinzu­nehmen in die Dynamik der gesamten eigenen Existenz – es ist keine äußerliche Angelegenheit – und in all das, was den Horizont des eigenen Apostolats ausmacht. Ich glaube, man erkennt auf diese Weise, dass die besondere Beziehung der Mutterschaft, die zwischen Maria und den Priestern be­steht, die wesentliche Quelle, das grundlegende Motiv für die Liebe darstellt, die sie einem jeden von ihnen entgegenbringt. Maria bringt ihnen nämlich aus zwei Gründen besondere Liebe entgegen: weil sie JESUS, der höchsten Liebe ihres Herzens, ähnlicher sind, und weil auch sie, wie sie selbst, in die Sendung eingebunden sind, der Welt CHRISTUS zu verkündigen, zu bezeugen und zu schenken. Durch seine Identifizierung und sakramentale Gleichgestaltung mit JESUS, dem SOHN GOTTES und Sohn Mariens, kann und muss jeder Priester sich wirklich als besonders geliebter Sohn dieser erha­benen und zutiefst demütigen Mutter fühlen. Das 2. Vatikani­sche Konzil lädt die Priester ein, Maria als vollkommenes Vor­bild des eigenen Lebens zu betrachten und sie anzurufen als ‚Mutter des höchsten und ewigen Priesters, die Königin der Apostel und Schützerin ihres Dienstes’. Und die Priester sollen sie daher ‚mit kindlicher Ergebung und Verehrung hochschät­zen und lieben’ (vgl. Presbyterium Ordines, 18). Der hl. Pfarrer von Ars… pflegte zu sagen: ‚Nachdem JESUS CHRISTUS uns alles gegeben hat, was Er geben konnte, will Er uns noch das Kostbarste hinterlassen, was Er hat: Seine heilige Mutter’. Das gilt für jeden Christen, für uns alle, aber insbesondere für die Priester…“

Generalaudienz in Castel Gandolfo, 12.08.2009

Stern des Meeres

„Im Kalender der Kirche steht über dem heutigen Tag der Name Maria. In ihr, die ganz eins war und ist mit dem Sohn, mit CHRISTUS, haben die Menschen in den Dunkelheiten und Lei­den dieser Welt das Gesicht der Mutter gefunden, das uns Mut gibt weiterzugehen. In der abendländischen Überlieferung ist der Name Maria mit ‚Stern des Meeres’ übersetzt worden. Darin drückt sich gerade diese Erfahrung aus. Wie oft erscheint die Geschichte, in der wir leben, wie ein dunkles Meer, das drohend seine Wellen gegen das Schifflein unseres Lebens wirft. Manchmal scheint die Nacht undurchdringlich. Oft mag es erscheinen, als ob nur das Böse Macht habe und GOTT unendlich weit sei. Das große Licht JESUS CHRISTUS, der den Tod und das Böse überwältigt hat, ahnen wir oft nur von ferne. Aber dann sehen wir ganz nahe das Licht, das sich entzündet hat, als Maria sagte: Siehe, ich bin eine Dienerin des HERRN. Wir sehen das helle Licht der Güte, das von ihr ausgeht. In ihrer Güte, in der sie den großen und kleinen Anlie­gen vieler Menschen immer wieder geholfen hat und hilft, er­kennen wir auf ganz menschliche Weise die Güte GOTTES selber. Mit ihrer Güte trägt sie immer wieder neu JESUS CHRISTUS und so das große Licht GOTTES selbst in die Welt herein. Er hat Seine Mutter uns als Mutter übergeben, damit wir von ihr das Ja erlernen, das uns gut werden lässt.“

Predigt bei einer Bischofsweihe in St. Peter, 12.9.2009

 

Hl. Pfarrer von Ars äußerst aktuell

„Die Gestalt des hl. Johannes Maria Vianney darf keinesfalls auf ein – wenn auch bewundernswertes – Beispiel für die durch Frömmigkeit geprägte Spiritualität des 19. Jahrhunderts redu­ziert werden. Im Gegenteil: man muss die prophetische Kraft wahrnehmen, die seine äußerst aktuelle Persönlichkeit als Mensch und Priester auszeichnet. Im nachrevolutionären Frankreich, das eine Art von ‚Diktatur des Rationalismus’ erlebte, die darauf ausgerichtet war, die Anwesenheit der Priester und der Kirche in der Gesellschaft auszulöschen, lebte er zunächst – in seiner Jugendzeit – einen heroischen Glauben im Untergrund und ging in der Nacht kilometerweit, um an der hl. Messe teilzunehmen. Dann – als Priester – zeichnete er sich durch eine einzigartige und fruchtbare pastorale Schaf­fenskraft aus, was beweist, dass der damals vorherr­schende Rationalismus in Wahrheit weit davon entfernt war, die wahren Bedürfnisse des Menschen zu stillen und dass er daher letztendlich nicht lebbar war.

150 Jahre nach dem Tod des hl. Pfarrers von Ars sind die Herausforderungen der heutigen Gesellschaft nicht weniger anspruchsvoll; vielleicht sind sie sogar komplexer geworden. Wenn es damals die ‚Diktatur des Rationalismus’ gab, so lässt sich in der heutigen Zeit in vielen Bereichen eine Art ‚Dikta­tur des Relativismus’ verzeichnen. Beide sind keine geeignete Antwort auf den berechtigten Wunsch des Menschen, seine Vernunft in vollem Maße einzusetzen als charakteristisches und formendes Element seiner eigenen Identität. Der Rationa­lismus war dafür ungeeignet, weil er die Grenzen des Men­schen außer Acht ließ und den Anspruch erhob, nur die Ver­nunft zum Maß aller Dinge zu erheben, die er so zur Göttin machte; der gegenwärtige Relativismus demütigt die Ver­nunft, weil er soweit geht zu behaupten, dass der Mensch nichts mit Gewissheit erkennen kann, was über den empiri­schen wissenschaftlichen Bereich hinausgeht…“

Generalaudienz in Castel Gandolfo, 5. August 2009

Hl. Monika – heilige Eheleute

„…Am 27. August haben wir den liturgischen Gedenktag der hl. Monika begangen, der Mutter des hl. Augustinus, die als Vorbild und Schutzpatronin der christlichen Mütter betrachtet wird. Über sie sind uns viele Informationen von ihrem Sohn in dessen autobiographischem Buch Confessiones überliefert, einem der meistgelesenen Meisterwerke aller Zeiten. Dort erfahren wir, dass der hl. Augustinus den Namen JESU gleich­sam mit der Muttermilch aufgesogen hat und von der Mutter in der christlichen Religion erzogen wurde, deren Prinzipien ihm auch in den Jahren der geistlichen und moralischen Orientie­rungslosigkeit eingeprägt bleiben sollten. Monika hörte nie auf, für ihn und seine Bekehrung zu beten, und es war für sie ein großer Trost zu sehen, dass er zum Glauben zurückkehrte und die Taufe empfing. GOTT erhörte die Gebete dieser hl. Mut­ter, zu der der Bischof von Tagaste gesagt hatte: ‚Es ist unmöglich, dass ein Sohn so vieler Tränen verlorengeht.’ In der Tat bekehrte sich der hl. Augustinus nicht nur, sondern er beschloss, ein monastisches Leben zu führen, und nach seiner Rückkehr nach Afrika gründete er selbst eine Gemeinschaft von Mönchen. Bewegend und erbaulich sind die letzten geist­lichen Gespräche zwischen ihm und seiner Mutter in der Stille eines Hauses in Ostia, während sie darauf warteten, mit dem Schiff nach Afrika aufzubrechen. Die hl. Monika war für ihren Sohn nunmehr ‚mehr als eine Mutter’; sie war ‚die Quelle seines christlichen Glaubens’. Jahrelang war ihr einziger Wunsch die Bekehrung des Augustinus, von dem sie nun sogar sah, dass er ein geweihtes Leben im Dienste GOTTES an­strebte. Somit konnte sie in Frieden sterben, und in der Tat entschlief sie am 27. August 387 im Alter von 56 Jahren, nach­dem sie ihre Söhne darum gebeten hatte, sich keine Sorgen um ihr Begräbnis zu machen, ihrer jedoch, wo immer sie auch sein werden, am Altar des HERRN zu gedenken. Der hl. Au­gustinus betonte wiederholt, dass ihn seine Mutter ‚zwei Mal zur Welt gebracht’ habe. – Die Geschichte des Christentums ist reich an zahllosen Beispielen heiliger Eltern und wahrer christlicher Familien, die das Leben großherziger Priester und Hirten der Kirche begleitet haben. Man denkt an die hll. Basilius den Großen und Gregor von Nazianz, die beide aus heiligen Familien stammten. Denken wir in unserer unmittelba­ren Nähe an die Eheleute Luigi Beltrame Quattrocci und Maria Corsini, die zwischen dem ausgehenden 19. und der Mitte des 20. Jahrhunderts gelebt haben und von meinem verehrten Vorgänger Johannes Paul II. im Oktober 2001 an­lässlich des 20. Jahrestages des Apostolischen Schreibens Familiaris consortio seliggesprochen worden sind. Jenseits der Tatsache, dass dieses Dokument den Wert der Ehe und die Aufgaben der Familie erläutert, ermuntert es die Eheleute zu einem besonderen Einsatz auf dem Weg der Heiligkeit, die sie, indem sie Gnade und Kraft aus dem Sakrament der Ehe schöpfen, durch ihr ganzes Leben begleitet (vgl. Nr. 56). Wenn sich die Gatten großherzig der Erziehung der Kinder an­nehmen und sie so zur Entdeckung des Liebesplanes GOTTES hinführen und auf ihn ausrichten, bereiten sie jenen fruchtbaren geistlichen Boden vor, aus dem die Beru­fungen zum Priestertum und zum geweihten Leben hervor­gehen und reifen. Auf diese Weise wird offenbar, wie sehr Ehe und Jungfräulichkeit, ausgehend von ihrer gemeinsamen Verwurzelung in der bräutlichen Liebe CHRISTI, zuinnerst mit­einander verbunden sind und sich gegenseitig erhellen.

Liebe Brüder und Schwestern, im derzeitigen Priester-Jahr bitten wir, dass ‚auf die Fürsprache des heiligen Pfarrers von Ars die christlichen Familien zu kleinen Kirchen werden, in denen alle Berufungen und alle Charismen, die der HL. GEIST in sie hineinlegt, Aufnahme finden und gewürdigt werden’ (aus dem Gebet für das Priester-Jahr). Diese Gnade erwirke uns die selige Jungfrau Maria…“                   

Angelus-Ansprache, 30.8.2009

Leuchtende Vorbilder: 5 neue Heilige

„‚Was muss ich tun, um das ewige Leben zu gewinnen?’ Mit dieser Frage beginnt der kurze Dialog… im Evangelium… (vgl. Mk 10,17-30). ‚Komm und folge mir nach!’ Das ist die christ­liche Berufung, die aus einem Liebesangebot des HERRN ent­springt und die sich nur dank einer unsererseits aus Liebe ge­gebenen Antwort verwirklichen kann. JESUS fordert Seine Jün­ger zur Ganzhingabe ihres Lebens auf, ohne menschliche Rechnung und Gegenrechnung, mit einem vorbehaltlosen Ver­trauen in GOTT. Die Heiligen nehmen diese anspruchsvolle Aufforderung an und begeben sich demütig und gefügig in die Nachfolge des gekreuzigten und auferstandenen CHRISTUS. In der nach menschlichen Gesichtspunkten manchmal unver­ständlichen Logik des Glaubens besteht ihre Vollkommenheit darin, dass sie nicht mehr sich selbst in den Mittelpunkt stellen, sondern dass sie sich entscheiden, nach dem Evangelium zu leben und damit gegen den Strom zu schwimmen.

So haben es die fünf Heiligen gemacht, die heute zu unserer großen Freude der Verehrung der Gesamtkirche vorgestellt werden: Zgymunt Szczesny Feliński, Francisco Coll y Guitart, Jozef Damian de Veuster, Rafael Arnáiz Barón und Marie de la Croix (Jeanne) Jugan….

Zygmunt Szczesny Feliński, Erzbischof von Warschau, Gründer der Kongregation der Franziskanerinnen der Familie Mariens, war ein großer Zeuge des Glaubens und der pas­toralen Liebe in Zeiten, die für die Nation und für die Kirche in Polen sehr schwierig waren. Er bemühte sich voller Eifer um das geistliche Wachstum der Gläubigen, half den Armen und Waisen. An der Kirchlichen Akademie in Sankt Petersburg sorgte er für eine solide Ausbildung der Priester. Als Erzbischof von Warschau begeisterte er alle für eine innere Erneuerung. Vor dem Aufstand vom Januar 1863 gegen die russische An­nexion warnte er das Volk vor einem nutzlosen Blutvergießen. Als jedoch der Aufstand ausbrach und es zu Repressionen kam, verteidigte er mutig die Unterdrückten. Auf Anordnung des russischen Zaren verbrachte er zwanzig Jahre in der Ver­bannung in Jaroslaw an der Wolga und konnte nie mehr in seine Diözese zurückkehren. In jeder Lage bewahrte er sein unerschütterliches Vertrauen in die GÖTTliche Vorsehung und betete: ‚O GOTT, bewahre uns nicht vor den Plagen und Sorgen dieser Welt… vermehre nur die Liebe in unseren Her­zen und bewirke, dass wir mit tiefster Demut an dem grenzen­losen Vertrauen in Deine Hilfe und Barmherzigkeit festhalten…’ Heute wird seine von Vertrauen und Liebe erfüllte Hingabe an GOTT und die Menschen zu einem leuchtenden Beispiel für die ganze Kirche.

… Der hl. Francisco Coll widmete sich voll Eifer der Verkündigung des GOTTESwortes, womit er seine Berufung im Predigerorden erfüllte… Damit der Same des Wortes GOTTES einen guten Boden finden möge, gründete Francisco die Kon­gregationen der Dominkanerinnen von der Verkündigung mit dem Ziel, Kindern und Jugendlichen eine umfassende Erzie­hung zu bieten

Jozef De Veuster, der in der Kongregation der Heiligen Herzen von JESUS und Maria den Namen Damian erhalten hat, verließ 1863 im Alter von 23 Jahren sein Heimatland Flandern, um am anderen Ende der Welt, auf den Hawaii-Inseln, das Evangelium zu verkünden. Seine Missionstätigkeit, die ihm große Freude machte, erreichte in der Nächstenliebe ihren Höhepunkt. Nicht frei von Angst und Abneigung entschied er sich, auf die Molokai-Inseln zu gehen, um den Leprakranken zu dienen, die dort von allen verlassen lebten; damit setzte er sich der Krankheit aus, an der diese Menschen litten. Bei ihnen fühlte er sich zu Hause. So wurde der Diener des Wortes zu einem leidenden Diener, in seinen letzten vier Lebensjahren aussätzig unter Aussätzigen…

Ein Gegenlicht zur Gestalt des Jünglings  [im Evgl.]… ist der heute heiliggesprochene Bruder Rafael, der mit 27 Jahren als Trappistenbruder von San Isidoro de Dueñas starb… Er sagte Ja zu dem Vorschlag, JESUS unmittelbar und entschlossen ohne Einschränkungen und Bedingungen zu folgen… ‚Ein von Liebe erfülltes Leben… Hierin liegt der einzige Grund zu leben’, sagt der neue Heilige…

Durch ihr bewundernswertes Wirken im Dienst alter und völlig mittelloser Menschen ist auch die hl. Marie de la Croix gleich­sam eine Leuchtgestalt, um unsere Gesellschaften zu leiten, die den Stellenwert und einzigartigen Beitrag dieser Lebens­phase immer wieder neu entdecken müssen. 1792 in Cancale in der Bretagne geboren, sorgte sich Jeanne Jugan um die Würde ihrer menschlichen Schwestern, die das Alter ver­wundbar gemacht hat, und erkannte in ihnen die Person CHRISTI selbst. ‚Blickt den Armen voll Mitleid an’, sagte sie, ‚und JESUS wird euch an eurem letzten Tag voll Güte an­blicken.’… Jeanne hat das Geheimnis der Liebe gelebt und da­bei die Dunkelheit und Prüfung bis zu ihrem Tod angenommen. Ihr Charisma ist immer aktuell, da so viele alte Menschen unter vielfältigen Formen der Armut und Einsamkeit leiden…“

Predigt bei der Heiligsprechung im Petersdom, 11.10.2009

 

 

 

 

6. Leiden und Sterben

 

 

Leid und die Schuld in der Welt

„Die Krankheit, die in vielen Formen auftritt und den Menschen in unterschiedlicher Weise befällt, lässt beunruhigende Fragen aufkommen: Warum leiden wir? Kann die Erfahrung des Schmerzes als positiv betrachtet werden? Wer kann uns vom Leiden und vom Tod befreien? Auf menschlicher Ebene bleiben diese existentiellen Fragen meist unbeantwortet, da das Leiden ein Geheimnis ist, das der Verstand nicht ergrün­den kann. Das Leiden gehört zum Geheimnis des Menschen selbst. Das habe ich in der Enzyklika Spe salvi hervorgehoben, wo ich gesagt habe: ‚Es folgt zum einen aus unserer Endlich­keit, zum anderen aus der Masse der Schuld, die sich in der Geschichte angehäuft hat und auch in der Gegenwart unaufhaltsam wächst.’ Und ich fügte hinzu: ‚Natürlich muss man alles tun, um Leid zu mindern…, aber ganz aus der Welt schaffen können wir es nicht – einfach deshalb nicht, weil… niemand von uns imstande ist, die Macht des Bösen… aus der Welt zu schaffen, die immerfort… Quell von Leiden ist’ (vgl. Nr. 36). Nur GOTT allein kann die Macht des Bösen aus der Welt schaffen. Eben aufgrund der Tatsache, das JESUS CHRISTUS in die Welt gekommen ist, um uns den GÖTTlichen Ratschluss zu unserem Heil zu offenbaren, hilft der Glaube uns, den Sinn alles Menschlichen, also auch des Leidens zu ergründen. Daher besteht eine enge Verbindung zwischen dem Kreuz JESU – Symbol des höchsten Schmerzes und Preis unserer wahren Freiheit – und unserem Schmerz, der verwandelt und sublimiert wird, wenn er im Bewusstsein von GOTTES Nähe und Solidarität gelebt wird. Pater Pio hatte diese tiefe Wahrheit intuitiv erfasst, und am ersten Jah­restag der Einweihung dieses Werkes [Krankenhaus „Casa Sollievo“ in S. Giovanni Rotondo] sagte er, dass in ihm ‚der Leidende die Liebe GOTTES erfahren soll durch die weise Annahme seiner Schmerzen, die ruhige Betrachtung seines Schicksals vor GOTT’ (Ansprache am 5. Mai 1957). In der ‚Casa Sollievo’, so ebenfalls Pater Pio, sollen die ‚Patienten, Ärzte und Priester Reservoirs der Liebe sein – je überreicher sie in einem von ihnen ist, desto mehr wird sie den anderen vermittelt’.“

Pastoralbesuch in S. Giovanni Rotondo, 21.6.2009

 

 

 

 

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