Das Porträt

 FMG-INFORMATION 113, März 2015

 

 

Zur erweiterten Neuauflage des deutschen Martyrologiums

 

 

Im Jahr 1999 erschien das große zweibändige Werk „Zeugen für CHRISTUS – Das deutsche Martyrologium des 20. Jahrhunderts“, herausgegeben von Helmut Moll im Auftrag der Deutschen Bischofskonferenz. Es enthielt rund 700 Lebensbilder von Märtyrern A) aus der NS-Zeit, B) aus der kommunistischen Zeit, C) Reinheitsmartyrien und D) Blutzeugen aus den Missionsgebieten.

Die 1. Auflage enthielt Lebensbilder von sieben „schutzlosen weiblichen Jugendlichen“ und von 55 „schutzlosen Ordensschwestern und Frauen – gegen Ende des 2. Weltkriegs“ sowie von 18 „getöteten Beschützern bzw. Beschützerinnen der bedrohten Frauen“.

In der 4. Auflage, erschienen 2006, waren weitere Reinheitsmartyrien aufgenommen worden: ein junges Mädchen, 18 Ordensfrauen bzw. junge Frauen aus der Endzeit des 2. Weltkriegs und fünf Beschützer bedrohter Frauen.

Auch die im Jahr 2010 erschienene 5. Auflage enthielt unter den 76 neuen Lebensbildern 12 weitere Reinheitsmartyrien von Frauen und zwei Priestern aus der Endzeit des 2. Weltkriegs (vgl. FMG-INFORMATION 101, November 1010). Die 4. und die 5. Auflage fügten die neuen Lebensbilder jeweils gesondert an.

Nun legte Prälat Prof. Dr. Helmut Moll in der 6. Auflage 2015 (erschienen im Dezember 2014) - mit mehr als 100 neuen Lebensbildern – ein neu strukturiertes Buch vor, das die seit der 1. Auflage hinzugefügten Biographien in die jeweiligen Kategorien chronologisch einreiht. Insgesamt werden nun gut 900 Märtyrer auf 1.828 Seiten erfasst (Verlag Schönigh, Paderborn).

 

So finden sich in Band II. im Kapitel „C. REINHEITS­MARTYRIEN (20. JAHRHUNDERT)“ folgende zwölf „schutzlose weibliche Jugendliche“: Cäcilia Baumann; Laura Klinkenberg; Maria Grimm; Angela Hildegard Berger; Agnes Drabinski, Gertrud Klimek und Hedwig Elisabeth Schnarbach; Maria-Regina Kramer; Margareta Bodensteiner; Klara Wendehals, Brigitte Irrgang; Adelheid Elsberger (S. 1245-1271).

Der Abschnitt „Schutzlose Ordensschwestern und Frauen – gegen Ende des Zweiten Weltkriegs“ (S. 1272-1315) enthält die Lebensbilder von 38 Schwestern der Kongregation von der hl. Elisabeth in Neisse (Oberschlesien) – „Graue Schwestern“ – im Alter zwischen 29 und 90 Jahren, die – im Zeitraum von Januar bis Oktober 1945 – von russischen Soldaten angegriffen, viele brutal vergewaltigt und ermordet wurden, einzelne auch, die getötet wurden, als sie andere vor unsittlichen Misshandlungen zu schützen versuchten, oder unter ähnlichen Umständen. Sie wurden schon damals von Mitschwestern oder anderen Zeitzeugen „als Martyrerinnen betrachtet, weil sie ihre GOTTgeweihte Jungfräulichkeit bis in den Tod hinein verteidigt haben“ (vgl. S. 1295). Die Seligsprechung wird angestrebt.

Aus dem Einleitungstext von Prälat Prof. Dr. Helmut Moll zu den Lebensbildern der „Grauen Schwestern“ (S. 1272f):

„In den Monaten Januar bis März 1945 flüchteten viele aus dem oberschlesischen Kriegsgebiet in die Stadt Neisse, die zu jener Zeit etwa 40.000 Einwohner zählte. Angesichts der tumultuarischen Zustände waren in dieser Stadt nur noch gegen 20 Priester und Laienbrüder, dazu 200 Ordens­schwestern zur Pflege der alten und kranken Menschen zurückgeblieben… Wie eine Flut wälzte sich die Rote Armee in die Stadt und drang mehr und mehr in die Klöster und Kirchen ein. Die Soldaten nahmen den Priestern und Schwestern unverzüglich die Uhren und andere Wertgegen­stände ab. Unter Drohungen verlangten sie nach Messwein und zogen plündernd durch die Häuser…

Vor allem aber hatten es die Rotarmisten auf viele Schwestern und Frauen abgesehen. Bereits in der ersten Nacht wurden nicht wenige Nonnen und Frauen angegriffen und auf brutale Weise vergewaltigt. In diesen Monaten widersetzten sich die weiblichen Ordensleute dem leidenschaftlichen Verlangen der russischen Soldaten. Sie wollten lieber sterben als sich von ihnen demütigen lassen. Sie zeigten sich bereit, eher den Weg des Martyriums zu gehen, um die Liebe zu CHRISTUS und die Wahrheit nicht zu verraten. In Verteidigung ihrer GOTTgeweihten Keuschheit, die sie bei ihrer Profess feierlich gelobt hatten, gaben sie ihr Leben hin und erlitten so den Blutzeugentod. Überliefert ist, dass die Russen am 24.3.1945 in das Schwesternaltersheim in Neisse… eindrangen. Damit begann eine furchtbare Tragödie, die etliche Schwestern zum Tod führte und ein dornenvoller Weg ins Martyrium wurde, wie Augenzeugen dieser trauri­gen Ereignisse berichteten. Zahlreiche Schwestern starben an den Folgen dieser schrecklichen Ereignisse oder einfach vor Erschöpfung.

Für die sachgerechte Beurteilung der Schicksale der Grauen Schwestern erscheint aufschlussreich, dass die nachfolgend aufgeführten Ordensleute bereits kurz nach ihrem schmachvollen Tod von Zeitzeugen und Überlebenden als Martyrerinnen bezeichnet und als solche auch in privater Form verehrt worden sind. Sie galten damit von Anfang an als Blutzeuginnen ihrer GOTTgeweihten Keuschheit, die bereit gewesen waren, wie die hl. Maria Goretti ihren blutigen Tod auf sich zu nehmen. Aber auch die Schwestern selber waren, soweit dies dokumentarisch noch nachweisbar ist, von einer spirituellen Disposition erfüllt, im gegebenen Fall eher zu sterben als in die Sünde einzuwilligen…“

 

Von den Schwestern der Kongregation der hl. Katharina in Braunsberg (Ostpreußen) sind sechzehn namentlich und teilweise mit Fotos aufgeführt (zwischen 27 und 65 Jahren alt), die 1945 das Jungfräulichkeitsmartyrium erlitten. Für sie läuft in der Diözese Warmia seit 2005 ein Seligspre­chungsverfahren.

Aus der Gemeinschaft der Armen Schulschwestern von Unserer Lieben Frau werden zwei Schwestern genannt (34 bzw. 60 Jahre alt; + 25.3.1945 in Neisse).

Schließlich werden unter der Benennung „Frauen aus verschiedenen Ostgebieten“ (S. 1316-1339) einundzwanzig Reinheitsmärtyrinnen vorgestellt (7 mit Fotos), darunter Ordensfrauen, Lehrerinnen, Hausfrauen usw. Auch die 15jährige Schülerin Hertha Meinusch (Visitatur Breslau) und die 16jährige Bauerntochter Margaretha Wiewiorra (Ostpreußen) zählen dazu.

Der letzte Abschnitt „Getötete Beschützer bzw. Beschützerinnen der bedrohten Frauen – gegen Ende des Zweiten Weltkriegs“ (S. 1340-1389) beschreibt einundzwanzig Priester, zwei Ordensschwestern und eine Mutter, die ihre Tochter beschützte. Zwei weitere Berichte beziehen sich auf eine 16jährige Bauerntochter Hedwig Roweda, die mit ihrem Vater von Rotarmisten ermordet wurde, und auf die Pfarrhaushälterin Anna Fernekeß (1913-2.4.1945), die von betrunkenen US-Soldaten vergewaltigt und mit dem Pfarrer Hermann Wagner (1907-2.4.1945), der ihr zu Hilfe eilte, erschossen wurde in Großkarlbach bei Frankenthal, Bistum Speyer.

 

Unter den „Getöteten Beschützern“ wird im Deutschen Martyrologium auch der Salvatorianer P. Titus Helde vorgestellt, der in Mistelbach (Niederösterreich) ermordet wurde, aber aus Radolfzell am Bodensee, Diözese Freiburg i. Br., stammte. In der FMG-INFORMATION 45, Dezember 1991 (Seite 42f.) hatten wir bereits ein „Porträt“ von P. Titus Helde abgedruckt. Wir wiederholen dies, ergänzt durch manche Informationen vor allem über das Leben von P. Helde aus „Zeugen für CHRISTUS“, 6. Auflage, S. 1378-1382:

 

P. Titus Helde SDS

 

* 5. Mai 1905 in Radolfzell/Bodensee - + 22. April 1945 in Mistelbach/Niederösterreich

Geboren wurde er in Radolfzell/Baden und getauft auf den Namen Josef. Die Eltern waren Josef (1870-1945) und Agatha Carolina, geb. Engel (1881-1934). Die Familie hatte acht Kinder, von denen drei früh verstarben. In Freiburg i. Br., wo die Familie später wohnte, besuchte Josef Volks- und Handelsschule. Danach arbeitete er als Buchhalter; er liebte Leichtathletik, Schwimmen, Radtouren und hatte Interesse an Theater und Musik. Während seiner Zeit als Angestellter fühlte sich Josef immer stärker gedrängt, den Menschen zu helfen. So wollte er Priester und Ordensmann werden und entschied sich für den jungen Salvatorianerorden, den der aus Gurtweil, Erzbistum Freiburg, gebürtige P. Franziskus Jordan (1848-1918) im Jahr 1881 gegründet hatte. Josef Helde besuchte ab 1926 die Schule der Salvatorianer in Steinfeld (Eifel) und ab 1931 in Lochau, Vorarlberg. Im schlesischen Heinzendorf begann er 1932 das Noviziat und erhielt bei der Einkleidung den Namen Titus. Weil er spürte, dass nach der NS-Machtergreifung in Deutschland die von ihm gewünschte sozial-caritative Betätigung eingeschränkt war, bat er um Aufnahme in die österreichische Provinz der Salvatorianer. Nach dem Studium in Passau, Graz und wieder Passau wurde er dort mit 33 Jahren 1938 zum Priester geweiht. Im September 1939 wurde er Kaplan in Wien-Mariahilf und wirkte besonders in der Kinderseelsorge und dem Beichthören. Er litt an gesundheitlichen Problemen, und die Bespitzelung durch die Gestapo führte auch zu Vorladungen. Im Herbst 1942 wurde P. Titus aus Gesundheitsgründen in die von den Salvatorianern betreute Pfarrei in Mistelbach, nördlich von Wien im sog. Weinviertel, versetzt. Hier wirkte er wiederum besonders als Kinderseelsorger. Am 29. März 1943 schrieb er an Wiener Freunde: „Ihr in Wien habt genug des Schreckens, manchmal denke ich, man sollte dabei sein und helfen, so gut es geht. Nun, es kann sein, dass bald der Schrecken auch zu uns kommt. So GOTT will, bin ich dann opferbereit...“. Er war es, und sein Grab an der Pfarrkirche Mistelbach bezeichnet ihn „als Schützer der Frauenehre von Russen erschossen“.

Mitte April 1945 wurde Mistelbach zum Frontgebiet zwischen den vordringenden sowjetischen Truppen und der sich auflösenden Verteidigungslinie des deutschen Heeres. Am Sonntag, 15. April, wurde im Evangelium der Mietling erwähnt, der flieht, und der gute Hirt, der sein Leben für seine Schafe gibt. Eine Woche später sollte sich P. Titus als „guter Hirte“ erweisen: Am 18. April schon kämpften sich die Russen durch die Stadt vor. Am Abend begannen die entsetzlichen Vergewaltigungen von Frauen und Mädchen. Die Patres sahen keine Möglichkeit, rettend einzugreifen. Als am folgenden Tag eine russische Abordnung mit den Patres, die ins Krankenhaus übergesiedelt waren, sprechen wollte, machte P. Titus dem Offizier unerschrocken Vorhaltungen über die Behandlung der Frauen. Es kam zu einer heftigen Auseinandersetzung, da der Sowjetoffizier diese Übergriffe nicht wahrhaben wollte. Um Frauen und Mädchen in den Schutz des Krankenhauses zu bringen, suchte P. Titus einige Luftschutzkeller auf. Doch zwei Tage darauf musste das Krankenhaus, das russisches Lazarett werden sollte, geräumt werden. Die Kranken wurden teilweise im Rathaus, zum Teil im Salvatorianerkolleg untergebracht, aus dem die Nazis die Patres vier Jahre zuvor vertrieben hatten. Auch die Patres konnten nun dorthin zurückkehren; wegen der Pfleglinge erlangte man sogar die Erlaubnis, nachts das Tor geschlossen zu halten.

P. Titus brachte gegen Abend des 21. 4. etwa 20 Mädchen und Frauen aus der Stadt in einen der den Patres zugestandenen Räume, der nur durch das Nachbarzimmer zugänglich war. Der Priester schob sein Bett vor die Tür und sagte zu einem Mitbruder: „Wenn ein Russe über mein Bett geht, dann geht er über meine Leiche.“ Der Mitbruder: „Ich wusste, dass es ihm ganz ernst war. Das hatte ihm ja in diesen Tagen so viel Sorge gemacht: die Hilflosigkeit der Frauen und Mädchen...“

Am Abend durchforschte eine Gruppe von Russen das Kolleggebäude. Gestützt auf eine schriftliche Erlaubnis des Kommandanten schien dieser „Besuch“ glücklich zu Ende gebracht, als im Tor einer der russischen Soldaten P. Titus ins Gesicht schlug, die Brille zertrümmerte und erneut mit dem Rundgang begann, begleitet vom Priester und zwei Schwestern mit Kerzen wegen der hereingebrochenen Dunkelheit. Wenige Schritte vor dem Treppenaufgang löschten die Russen schlagartig den Schwestern die Kerzen aus. Um die beiden Ordensfrauen zu retten, forderte P. Titus sie auf, hinaufzulaufen und Licht zu holen. Noch auf der Treppe hörten die beiden Schwestern Schüsse aus der Maschinenpistole. Als eine Schwester und ein anderer Pater mit Licht zurückkehrten, sahen sie P. Titus an der Mauer blutüberströmt zusammensinken: Die Geschoßgarbe hatte seine Arme und vor allem den Unterleib getroffen. Er erhielt die Krankensalbung; auf das Krankenöl in seiner Tasche konnte er noch hinweisen.

In „Zeugen für CHRISTUS“ (S. 1380 f) wird von einer Frau berichtet, die P. Titus mit ihrem Kind vor den Übergriffen der Soldaten beschützte. Sie bestätigte 1997, sie sei bis zum Abend bei einer Freundin geblieben, habe sich dann mit ihrer eineinhalb Jahre alten Tochter auf den Weg zum Salvatorianerkolleg gemacht, um dort Zuflucht zu finden. P. Titus habe sie eingelassen, ein anderer Pater, den sie kannte, brachte sie in den Keller. Von oben habe man dann Schüsse gehört. Der andere Salvatorianer habe ihr damals, um sie nicht belastet zu wissen, nicht gesagt, dass P. Titus für sie und ihr Kind sein Leben geopfert habe.

Da die Russen niemanden aus dem Haus ließen - man wollte den Schwerverletzten ins Krankenhaus bringen -, trug man ihn nach oben und bettete ihn auf eine Matratze. Ein Mitbruder versuchte einen Arzt zu holen, doch er kam nicht mehr zurück (erst am nächsten Tag erfuhr man, dass er wegen der Ausgangssperre im Krankenhaus zurückgehalten worden war.) Die zwölf Schwestern sammelten sich, Rosenkranz betend, um ihn; ein anderer Priester nahm den Wachposten vor dem verborgenen Zimmer mit den Frauen und Mädchen ein, denn immer wieder ließen sich Gruppen von Soldaten durchs Haus führen.

Am 22. April 1945, einem Sonntag, kamen immer wieder Soldaten ins Zimmer, in dem die Schwestern um den Sterbenden versammelt waren; und versuchten, eine von ihnen aus dem Kreis herauszureißen. Sie hängten sich alle zusammen und begannen zu schreien. Trotz Handgemenge und Bedrohungen mit der Waffe ging alles gut. Um 2.30 Uhr schloss P. Titus seine Augen. Am 24. April wurde er unauffällig beigesetzt. Erst 1955 konnten seine Gebeine geborgen und erneut feierlich im Priestergrab an der Kirchenwand beigesetzt werden.

Ein Mitbruder hatte 1947 bereits in Rom eine Augenzeugenvernehmung angeregt „wegen dem ermordeten Pater Titus Helde, der ein Held für die Keuschheit ist und beim Schutze der Frauen vor Vergewaltigung sein Leben opferte“. Doch ein entsprechendes Vorhaben 1953 konnte nicht begonnen werden, weil die Zeugen, die in Mistelbach und Wien noch bis 1955 unter der russischen Besatzung lebten, Angst hatten, etwas gegen die Russen auszusagen.

(Bildnachweis: Archiv Freundeskreis Maria Goretti e. V., Urheberrecht unbekannt)

 

 

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